Berlin – Dirk Nowitzki hinterlässt mit seinem Rücktritt eine klaffende Lücke im deutschen Sport. Welcher deutsche Spitzenathlet kann auf der globalen Bühne künftig diese Leerstelle füllen?
Nur wenige haben aktuell eine annähernd ähnliche Berühmtheit oder zumindest ein vergleichbares Ruhm-Potenzial wie das Basketball-Idol aus Würzburg. Ein Überblick:
Sebastian Vettel (31): Der Formel-1-Pilot ist schon viermal Weltmeister geworden. Seine Titel gewann der gebürtige Heppenheimer allesamt im damals überlegenen Red-Bull-Rennwagen. Vettel hat sich seinen Lausbuben-Humor bewahrt, zeigt auf der Strecke Emotionen und wirkt privat geerdet. In der globalen Glamour-Sportart Formel 1 fährt der Hesse für das berühmteste Team: Ferrari. Im roten Auto wurde sein Vorbild Michael Schumacher zur Sport-Ikone. Vettel müsste aber wohl noch mindestens einen WM-Titel im Ferrari gewinnen, um seine Popularität auf Nowitzki-Niveau zu heben.
Alexander Zverev (21): Liegt in der Tennis-Weltrangliste auf Platz drei hinter den Ausnahmekönnern Novak Djokovic und Rafael Nadal und vor seinem großen Idol Roger Federer. Längst gilt Zverev als mit Abstand vielversprechendster Jungprofi seiner Sportart und seiner Generation. International ist sein Star-Status noch herausgehobener als in Deutschland, wo der in Moskau geborene Zverev noch immer mit einer gewissen Skepsis und Distanz beobachtet wird, weil er unnahbar wirkt. Ein Titel bei einem der vier Grand-Slam-Turniere könnte dies ändern. Zverev wird zudem als kommender Klient in Federers Management gehandelt. Er spricht perfekt Englisch, sieht gut aus, wohnt in Monaco und lässt es in jüngster Zeit auch öfter menscheln mit Fotos mit seinem Hund oder der Familie.
Leon Draisaitl (23): Gilt als Jahrhundert-Talent und ist wahnsinnig ehrgeizig. Zu Beginn seiner Karriere und dem Wechsel nach Nordamerika war Draisaitl fast besessen vom auch stets geäußerten Wunsch, der «Eishockey-Nowitzki» zu werden. Draisaitl bezeichnet Nowitzki immer noch als sein großes Vorbild. Sportlich gehört der Kölner in der nordamerikanischen Profiliga NHL längst zu den Besten weltweit, in dieser Saison hat er Weltstars wie Sidney Crosby oder Alexander Owetschkin hinter sich gelassen. Was fehlt, ist derzeit die realistische Chance auf einen Titel. Mit den Edmonton Oilers verpasste er erneut die Playoffs. Auch ein Titel mit dem Nationalteam erscheint aktuell unwahrscheinlich. Auch Nowitzkis Lockerheit geht ihm noch ab.
Leroy Sané (23): Zur verkorksten WM durfte der pfeilschnelle Flügelstürmer von Manchester City nicht mit – und war danach der große Gewinner. Inzwischen sieht auch Joachim Löw im Ex-Schalker die Zukunft der deutschen Nationalelf. Sané ist das größte deutsche Offensivtalent und längst Stammkraft in der stärksten Liga der Welt. Der Speedkicker mit dem Wuschelhaar taugt zum Vorbild für den Nachwuchs auf dem Bolzplatz. Auch modisch traut sich Sané was, wie zuletzt mit seiner Lammfell-Lederjacke im Graffiti-Stil. Dribbelt er die DFB-Auswahl künftig zu großen Titeln, hat er durchaus Superstar-Potenzial.
Mick Schumacher (20): Der Hype ist jetzt schon enorm, dabei fährt der Sohn von Michael Schumacher erst im Rahmenprogramm der Formel 1. Mit dem Titel als Formel-3-Europameister und dem Aufstieg in die Ferrari-Akademie beflügelte der Filius des Rekordweltmeisters die Träume vom nächsten Schumacher in der Königsklasse. Der weltberühmte Name und das tragische Schicksal seines Vaters, der seit seinem Ski-Unfall vor fünf Jahren von der Öffentlichkeit abgeschirmt wird, machen diese Sport-Geschichte so besonders. Sollte der junge Schumi wirklich in einem Formel-1-Ferrari triumphieren, käme die Wucht dieses Ereignisses wohl in Nowitzki-Dimensionen.
Timo Boll (38): Der Tischtennis-Profi hat weltweit vermutlich mehr Fans als jeder andere deutsche Sportler – weil er vor allem in China so populär ist, dem bevölkerungsreichsten Land der Erde. Tischtennis ist ein Massensport in China und Boll seit fast 20 Jahren der größte Rivale der chinesischen Stars. Der Rekordeuropameister hat schon mehrfach in der chinesischen Liga gespielt, er gewann bereits 2002 den World Cup in China und kann bis heute nicht in dem Land auf die Straße gehen, ohne sofort von Menschenmengen umringt zu werden. Boll ist privat sehr gut mit Dirk Nowitzki befreundet, auch weil sich beide charakterlich ähneln: Beide sind sehr höflich, zurückhaltend, immer fair – und deshalb bei Fans wie anderen Spielern sehr beliebt.
Angelique Kerber (31): Spätestens seit ihrem Wimbledon-Triumph 2018 und dem Finalsieg gegen Serena Williams hat sich die gebürtige Bremerin in der Historie ihrer Sportart verewigt. «Kerber kann längst als deutscher Weltstar gelten, sie gibt sich aber nicht so», schrieb damals die «Süddeutsche Zeitung». Die beste deutsche Tennisspielerin nach Steffi Graf hat keine Allüren, schätzt ihr Leben bei ihren Großeltern in Polen und gibt ansonsten wenig Privates preis. Früher galt sie als sehr scheu und äußerst selbstkritisch. Mittlerweile bedient sie zwar auch den Glamour-Faktor, ziert die Titel von Lifestyle-Blättern und hat hochdotierte Sponsoren-Verträge. Auf Nowitzki-Niveau wird ihre Popularität jedoch eher nicht steigen.
Max Kepler (26): Der Baseball-Profi gehört zu den am besten bezahlten deutschen Sportlern in den USA. Umgerechnet mehr als 30 Millionen Euro bekommt der erste Schlagmann der Minnesota Twins für einen Fünfjahresvertrag. Der gebürtige Berliner hat sich in der Major League Baseball etabliert und ist wichtiger Baustein der Twins-Zukunftspläne. In Deutschland indes ist Kepler praktisch unbekannt. Nur ein Sieg in den Endspielen der World Series, und am besten noch als prägende Figur, könnten ihn wohl einem größeren Publikum außerhalb der USA vertraut machen.
Nowitzkis Erben: Eine ganze Generation deutscher Basketball-Spieler hatte darunter zu leiden, dass hoffnungsvollen Talenten immer wieder öffentlich verfrüht das Prädikat «nächster Nowitzki» angeheftet wurde. Auch jetzt ist niemand mit diesem Ausnahmestatus in Sicht. Auch nicht Dennis Schröder, der als aktuell bester deutscher Basketballer Nowitzkis Nachfolger in der Rolle des Anführer in der Nationalmannschaft ist. Bundestrainer Henrik Rödl attestierte Nowitzki zum Abschied «eine Klasse, die es so noch nie gegeben hat und die es, glaube ich, so schnell auch nicht wieder geben wird».
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(dpa)