Rio de Janeiro – Zika ist bei den Olympischen Spielen bisher vor allem dann in aller Munde gewesen, wenn Hope Solo am Ball war. «Ole, ole, Ole, Zika, Zika», schallte es dann durch das Stadion.
Eine Retourkutsche der brasilianischen Fans gegen die Torhüterin der US-Frauenfußballer, die im Viertelfinale an Schweden scheiterten. Über die sozialen Medien schürte Solo aus Sicht vieler Brasilianer unnötige Angst vor dem Virus – im südamerikanischen Winter gibt es nur wenige Moskitos der Art Aedes aegypti, die der Hauptüberträger sind. Die Weltgesundheitsorganisation hat bisher nicht einen einzigen Zika-Fall bei Olympia zu verzeichnen. Nicht einen. Was war im Vorfeld nicht alles diskutiert worden, bis hin zu einer Absage der Spiele.
Und Hope Solo hatte die Panik aus Sicht der Brasilianer mitangefacht. Via Twitter veröffentlichte sie ein Bild, dass ein ganzes Bett voll von Insektenschutzmitteln für den Olympia-Einsatz zeigt. Ein anderes zeigte sie mit einer Moskito-Schutzmaske über den Kopf. Sie hatte zunächst einen Verzicht auf Olympia erwogen – weil sie eine Familie gründen will. Das Virus kann Schädelfehlbildungen bei Babys auslösen.
Die Schätzungen für Brasilien reichen zu bis zu 1,5 Millionen Fällen – aber viele Infektionen werden gar nicht bemerkt und entsprechend keine Tests veranlasst. Das brasilianische Gesundheitsministerium hat seit dem Ausbruch der Epidemie im April 2015 offiziell 174 000 Fälle bestätigt. «Das entspricht 85,1 Fällen pro 100 000 Einwohner», sagt ein Sprecher.
Im Bundesstaat Rio de Janeiro liegt die Quote mit 278,1 Fällen aber höher. Es ist erwiesen, dass Zika schwere neurologische Schäden verursachen kann. Nach Angaben des Gesundheitsministeriums gab es seit der systematischen Erfassung im Oktober bis Mitte Juli 1709 bestätigte Mikrozephalie-Fälle. Aber nur bei 267 bestätigten Fällen konnte das Zika-Virus eindeutig nachgewiesen werden, mit dem sich die Mütter in der Schwangerschaft infiziert hatten. Ein anderer Grund für Mikrozephalie kann Alkohol in der Schwangerschaft sein.
Das brasilianische Gesundheitsministerium hat inzwischen eine eigene Zika-Rubrik zu «Mythen und Wahrheiten» eingerichtet. Aber ob es aus PR-Sicht klug war, in der Hochphase im Februar Anti-Moskito-Kommandos mit martialischen gelben Schutzanzügen loszuschicken? Die Bilder gingen um die Welt und wurden zu Olympia neu aufgelegt – auch wenn jetzt die Situation eine ganz andere ist. Dass Rio de Janeiro, und ganz Brasilien, dauerhaft mit solchen Viruserkrankungen werden leben müssen, gilt für Mediziner als wahrscheinlich. In dem Aufsatz «Zika Virus Controversies: Epidemics as a Legacy of Mega Events» zeichnet zumindest ein brasilianisches Forscherteam ein ernüchterndes Bild.
Einen der Hauptgründe für die Ausbreitung sehen die Mediziner im nach wie vor schlecht ausgebauten Abwassersystem. Nach ihren Forschungen verfügen 55 Prozent der Haushalte über keinen oder nur unzureichenden Anschluss an das öffentliche Abwassersystem. Am schlimmsten ist demnach die Situation in ländlichen Gebieten im Norden und Nordosten. Dort, wo Zika als erstes von der Ärztin Adriana Melo überhaupt als Epidemie identifiziert worden war, ist etwa jeder zweite Haushalt nicht am Abwassernetz angeschlossen – ein idealer Nährboden für die Aedes-Gelbfiebermücke, die feuchte Plätze zum Eierablegen nutzt.
Zwar hat die Regierung kurzfristig allerhand unternommen, um ein ungehemmtes Wachstum der Moskitopopulation einzudämmen. Kampagnen wie «Zika Zero» hält Professor Alberto Arbex von der medizinischen Hochschule (Ipemed) in Rio de Janeiro, der Autor des Aufsatzes, für illusorisch. Das oft kaum vorhandene Abwassersystem bleibe die wichtigste Herausforderung, vor dem Hintergrund des Risikos, dass sich andere (neue und alte) Infektionskrankheiten ansonsten schnell festsetzen. Wie Zika. Und davor Dengue. Auch weil es Indizien gibt, dass sich die Moskitos wegen des Klimawandels schneller verbreiten.
Das Dengue-Fieber beschäftigt Brasilien seit den frühen 80er Jahren. Offiziell sind bislang zehn Millionen Brasilianer mit Dengue im Laufe der Jahre infiziert gewesen, die Zahl der Todesfälle wird mit 4000 angegeben. Rio und Brasilien investierten viel zu wenig in einer Verbesserung der Abwasserentsorgung, betont Arbex. «Das kann man ganz klar in der Guanabara-Bucht (Segeln) oder in Barra da Tijuca (Olympipark) sehen, wo die Abwasserkanäle direkt im Meer enden».
Ab Oktober, wenn bei wärmeren Temperaturen die Moskitos zurück sind und sich in gerade in den Kloakengewässern rasant vermehren werden, werden die Zika- und Dengue-Fälle wieder zunehmen. Aber: Da man nur einmal mit Zika infiziert werden kann, sind vielleicht viele bereits immun, weshalb sich die Zika-Ausbreitung mittelfristig abschwächen könnte. «Wir erwarten, dass die gegenwärtige Epidemie in drei Jahren weitgehend überwunden ist», bilanziert Neil Ferguson vom Zentrum für Epidemie-Analysen des Imperial College London im Magazin «Science».
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(dpa)