Leipzig/Moskau – Stimmt es, oder stimmt es nicht? Ein erstes Eingeständnis von Doping-Vertuschungen in Russland von Rusada-Chefin Anna Anzeliowitsch ist gleich wieder einkassiert worden.
Die Aussagen in der «New York Times» seien verfälscht und aus dem Zusammenhang gerissen, teilte die Anti-Doping-Agentur Rusada mit. Auch der Kreml bezweifelte die Glaubwürdigkeit des Berichts in der renommierten US-Zeitung. Erst müsse man prüfen, ob die Aussage so gefallen sei, wie sie Anzeliowitsch zugeschrieben werde, sagte Sprecher Dmitri Peskow. Die Rusada-Chefin war mit den brisanten Worten zitiert worden: «Es war eine institutionelle Verschwörung.»
Noch am gleichen Tag relativierte Anzeliowitsch ihre kritischen Aussagen. «Natürlich sind meine Worte aus dem Kontext gerissen worden», schrieb sie laut Agentur sports.ru in einer Mitteilung. Sie habe in dem einstündigen Interview der «New York Times» vor allem darlegen wollen, dass es vor Antworten der Sportler auf die Vorwürfe und Entscheidungen der Verbände wenig sinnvoll sei, über die Lage zu reden. «Bislang ist nur eine Seite vertreten gewesen», sagte sie. «Dass ich schockiert war vom McLaren-Bericht, das sind meine Worte. Ich denke, wir alle waren schockiert.»
Der Wortlaut greift genau die Formulierung des Doping- Sonderermittlers Richard McLaren bei seinen Vorwürfen gegen Russland auf. Der Chefermittler der Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) hatte Russland in seinen beiden Reports angesichts von 1000 involvierten Sportlern Staatsdoping vorgeworfen und von einer «institutionellen Verschwörung» über mehrere Jahre und sportlichen Großereignissen, auch bei den Olympischen Winterspielen in Sotschi hinweg, gesprochen.
Kritik kam vom russischen Sportminister Pawel Kolobkow. Anzeliowitsch sei keine Staatsbedienstete, sagte er in Moskau. Sie hätte deshalb nicht als Vertreterin der russischen Sportpolitik zitiert werden dürfen. Die Rusada sei eine private Organisation. Russland bleibe ein «unversöhnlicher Kämpfer gegen Doping», betonte Kolobkow. Deshalb könne es kein staatlich gestütztes Doping-System geben.
«Das IOC wartet auf Klärung», sagte ein Sprecher des Internationalen Olympischen Komitees. Man werde die Angelegenheit zunächst nicht kommentieren. Insgeheim hofft man wohl, dass das Doping-Eingeständnis Bestand haben wird. Für den in der Kritik stehenden IOC-Chef Thomas Bach würde dadurch sportpolitisch vieles einfacher.
FIFA-Chef Gianni Infantino wies einen direkten Zusammenhang zur Fußball-Weltmeisterschaft 2018 in Russland zurück. Er glaube nicht, «dass wir ein Dopingproblem, selbst wenn es ein großes Dopingproblem ist, mit der Organisation für die WM vermischen sollten», sagte der Präsident des Weltverbandes. Das seien «völlig unterschiedliche» Dinge.
Egal, ob die Anzeliowitsch-Aussagen so oder so gefallen sind – längst rüttelt der Doping-Skandal um Russland an den Grundfesten und der Glaubwürdigkeit des Sports.
Nachdem das IOC kurz vor Weihnachten ein Disziplinarverfahren gegen 28 Russen eingeleitet hatte, wurden vom Skiweltverband FIS sechs und vom Biathlon-Weltverband IBU zwei Sportler gesperrt. Einer davon ist Langlauf-Olympiasieger Alexander Legkow. Der 50-Kilometer-Sieger von Sotschi klagt genau wie sein Kollege Jewgeni Below gegen die Suspendierung und hat den Bochumer Anwalt Christof Wieschemann, einen Sportrechtler, engagiert. Die Klage gegen die FIS ist eingereicht. Bei der am Silvestertag beginnenden Tour de Ski will Legkow starten.
«Es geht schließlich um Existenzen. Bei der Tour geht es um sehr viele Weltcup-Punkte, damit auch Startplätze. Es geht um viel Geld und Prämien. All das hat weitreichendere Konsequenzen als nur eine vorläufige Sperre», sagte Legkows deutscher Trainer Markus Cramer. Sein Schützling sei weder vor, während, noch nach den Spielen jemals positiv getestet worden. Der Sauerländer ist seit anderthalb Jahren in Russland und hat wie sein Biathlon-Kollege Ricco Groß bei seinem Amtsantritt klare Ansagen in Sachen Doping gemacht: «Für mich gibt es nur eine Null-Toleranz-Politik.»
Cramer sieht einen Teil der Athleten als Spielball der Sportpolitik. «Es ist für mich eine ungewöhnliche Situation, wenn ein erwachsener Mann vor mir steht und unter Tränen schwört, nichts Verbotenes getan zu haben.» Legkow werde im McLaren-Report in einer Gruppe geführt, deren Urinproben selbst keine Auffälligkeiten aufweisen. Es gibt aber die Annahme, dass die Probenflaschen geöffnet worden sein sollen. «Russland», sagt Cramer, «wollte bei Olympia 2014 wohl unter allen Umständen einen positiven Fall vermeiden und hat möglicherweise deshalb auf Verdacht alle Proben vertauscht. Das kann man aber dem Sportler nicht anlasten.»
Im Weltverband FIS ist man sich des Risikos der Suspendierungen bewusst. «Die haben wir sofort provisorisch bestraft, obwohl wir noch auf Beweise warten müssen. Wir nehmen da ein gewisses Risiko auf uns. Aber wir mussten reagieren, weil die Saison im Langlauf jetzt mit der Tour de Ski schon weitergeht», erklärte Weltverbands-Präsident Gianfranco Kasper.
Der 72-jährige Schweizer gab in einem Gespräch mit der «Berliner Zeitung» zu, dass die Entscheidung des russischen Ski-Verbandes, das Langlauf-Weltcupfinale zurückzugeben, «auf einen gewissen Druck hin» fiel. «Wir haben gesagt: Entweder Ihr macht es selbst, sonst machen wir es.»
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(dpa)