Frankfurt/Main (dpa) – Der Rücktritt samt Generalabrechnung von Nationalspieler Mesut Özil ist auch für den Deutschen Fußball-Bund eine Zäsur.
Der Verband, der um Vielfalt und Integration wirbt, muss sich nur einen Monat nach dem historischen Vorrunden-Aus bei der WM in Russland einer Debatte um Rassismus und Ausgrenzung stellen. Wie geht es für den DFB und seinen Präsident Reinhard Grindel weiter? Und wie für Mesut Özil? Die wichtigsten Fragen im Özil-Beben:
Wie ist es um die Zukunft von DFB-Chef Grindel bestellt?
Der 56 Jahre alte Verbandschef ist massiv in die Kritik geraten. Özil selbst erhob schwere Vorwürfe gegen Grindel, unterstellte ihm «Inkompetenz und Unfähigkeit» sowie ihm und seinen «Helfern» rassistische Tendenzen. Den Rassismusvorwurf dementierte der DFB via Statement zwar entschlossen. Für den schwer belasteten Grindel war dies aber noch lange keine Befreiung.
Der CDU-Politiker wird selbst Stellung beziehen und einige Vorwürfe Özils entkräften müssen, sonst ist er in seinem Amt als Oberhaupt des DFB kaum noch tragbar. Politiker wie Cem Özdemir oder Renate Künast (beide Grüne) fordern bereits den Rücktritt. Im DFB-Umfeld scheint es bisher ruhig zu sein, viele Freunde dürfte sich Grindel aber auch dort mit seinem Krisenmanagement nicht gemacht haben. Die übereilte Vertragsverlängerung mit Bundestrainer Joachim Löw bis zur WM 2022 stieß zuletzt sogar DFB-intern auf öffentliche Kritik.
Was bedeutet die Affäre für die deutsche EM-Bewerbung für 2024?
Die Affäre um die Fotos mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan kommt für den DFB zur absoluten Unzeit. Knapp zwei Monate vor der Vergabe der EM 2024 am 27. September in Nyon könnte das Außenbild nach dem frühen WM-Aus und Rassismusvorwürfen eines Nationalspielers kaum verheerender sein. Die enormen Anschuldigungen gegen die DFB-Spitze könnten Deutschland sogar das Turnier kosten, das sie im Verband immer wieder stolz als «Leuchtturmprojekt» bezeichnen.
Ist Özils Rücktritt im National-Team endgültig?
Eine Rückkehr ins DFB-Team kann man nach diesem Ausbruch ausschließen. Der 29-Jährige ließ sich mit seiner Erklärung zwar ein Hintertürchen offen, er schrieb: «Mit schwerem Herzen und nach langer Überlegung werde ich wegen der jüngsten Ereignisse nicht mehr für Deutschland auf internationaler Ebene spielen, so lange ich dieses Gefühl von Rassismus und Respektlosigkeit verspüre.» Darauf ging der DFB allerdings gar nicht ein.
Wo war «Die Mannschaft» nach Özils brachialem Abgang?
Sie stellte sich jedenfalls nicht hinter den zurückgetretenen Kollegen. Vereinzelte Spieler wie Jérôme Boateng, Julian Draxler und Antonio Rüdiger äußerten sich über die sozialen Medien und dankten Özil für seine Leistungen und die gemeinsamen Jahre im DFB-Dress. Rund um das heikle Thema Rassismus und die massiven Vorwürfe Özils gegen Land, Leute, Kritiker und Sponsoren meldete sich keiner zu Wort. Nicht Kapitän Manuel Neuer, auch nicht die Führungsriege um Mats Hummels, Thomas Müller und Toni Kroos.
Stattdessen wurden am Montag und Dienstag Glückwünsche an das bayerische Team des Jahrhunderts (FC Bayern), Urlaubsfotos und Werbevideos in die Welt gezwitschert. Nicht nur der DFB, sondern auch «Die Mannschaft» machte in der Causa Özil keine gute Figur. Dass die Spieler während der WM wochenlang Fragen für ihren schweigenden Teamkameraden mit beantworten mussten, war sicher nicht hilfreich.
Wie reagiert die Türkei auf Özils Rücktritt?
Sehr positiv und mit vielen Komplimenten. Präsident Erdogan hat Özil nach Medienberichten angerufen und ihm seine Unterstützung bekundet. Zugleich sagte Erdogan vor türkischen Journalisten, dass Rassismus gegen Özil nicht zu akzeptieren sei. Erdogan machte deutlich, dass Özil sich zur Türkei bekannt habe: Özils Erklärung und seine Haltung seien vollkommen «national und regional, sagte Erdogan nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu. «Ich küsse seine Augen.»
Kann Özil zukünftig für die Türkei spielen?
Nein, das ist ausgeschlossen. In den FIFA-Statuten ist klar geregelt, dass ein Fußballprofi nur für eine A-Nationalmannschaft auflaufen darf. Für den in Gelsenkirchen geborenen Özil stand diese Entscheidung bereits im Jahr 2009 an.
Was bedeutet der Rücktritt für Özils sportliche Karriere?
Den Weltmeister-Titel von 2014 sowie eine überaus erfolgreiche Laufbahn im DFB-Team nimmt Özil keiner mehr, auch wenn sich am Ende wohl der Abgang mit Rundumschlag in den Köpfen festsetzen wird. Der Spielmacher wird noch in diesem Jahr 30 und besitzt beim FC Arsenal einen bestens dotierten Vertrag bis 2021. Im Gegensatz zum National-Team fehlt Özil im Vereinstrikot noch die große Trophäe.
Wie will Bundestrainer Löw den Ausfall sportlich kompensieren?
Eins zu eins wird das nicht möglich sein. Özil prägte das Spiel in der Ära Löw wie kaum ein Zweiter. 23 Tore und 40 Assists verbuchte der Spielgestalter in seinen 92 DFB-Einsätzen, seine mangelnde Körpersprache täuschte häufig über seine Genialität als Fußballer hinweg. «Mesut ist ein unangenehmes Thema, mit vielen Fehlern behaftet, aber er ist nicht das Problem des deutschen Fußballs», sagte der frühere DFB-Sportdirektor Matthias Sammer in einem Interview dem TV-Sender Eurosport.
Mit den Etablierten Marco Reus und Julian Draxler sowie den aufstrebenden Julian Brandt und Leroy Sané hat Löw im offensiven Bereich einige Optionen, der Bundestrainer dürfte nach dem WM-K.o. ohnehin mehr Flexibilität im Angriff herbeisehnen.
Fotocredits: Julian Stratenschulte