Pyeongchang – Olympiasieger Andreas Wellinger vergoss bereits vor dem alles entscheidenden letzten Sprung von Kontrahent Stefan Hula Tränen. Hinsehen konnte der 22-Jährige nicht mehr, stattdessen kniete er in der Box des Führenden.
Als bei den Olympischen Winterspielen von Pyeongchang dann der größte Triumph seiner Laufbahn feststand und seine Teamkollegen ihn fast erdrückten, wurde Wellinger endgültig von seinen Emotionen überwältigt. Mit dem ersten Gold seit Jens Weißflog 1994 schrieb der 22-Jährige kurz nach Mitternacht in einem denkwürdigen Springen vor den Augen eines begeisterten Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier Geschichte.
«Es ist unglaublich. Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Ich denke, das braucht noch ein paar Tage, bis ich das realisiert habe. Am Ende war es unglaublich», stammelte Wellinger in der Pressekonferenz.
Eisige Temperaturen von bis zu 12 Grad unter Null, ein immer stärker werdender Aufwind und damit verbundene Unterbrechungen machten den Wettbewerb von der Normalschanze zu einer Nervenprobe. Noch nie war ein olympischer Skisprung-Wettkampf in nur einem Durchgang beendet worden. Und so sollte es auch bleiben. Die Folge: Nach Durchgang eins wurde weitergesprungen, so dass der Olympiasieger erst um 0.16 Uhr feststand. Dass dieser Wellinger heißt, hätte keiner vermutet. Als Fünfter war der Ruhpoldinger nach dem ersten Durchgang zwar in Medaillennähe, doch zum Spitzenreiter Hula aus Polen fehlten bereits knapp sieben Punkte oder umgerechnet 3,5 Meter – normalerweise zu viel für eine Normalschanze.
Doch an einem außergewöhnlichen Tag, an dem der Schweizer Simon Ammann sechsmal auf den Balken klettern musste, eh er endlich springen durfte, an dem FIS-Renndirektor Walter Hofer die Athleten persönlich in Decken wickelte und sie warm rieb, glückte das Unmögliche. Wellinger flog genau wie der Drittplatzierte Norweger Robert Johansson auf die Schanzenrekord-Weite von 113,5 Meter und sah dann, wie Richard Freitag, der spätere Zweite Johann Andre Forfang aus Norwegen und die Polen Kamil Stoch und Hula hinter ihm blieben. Bei der Blumen-Zeremonie schrie Wellinger dann mehrfach seine Freude heraus.
«Ich wusste die letzten Tage, dass ich auf einem sehr hohen Level springe. Ich wusste, dass ich nah dran bin, wenn ich meine Sprünge zeige. An so einem Tag wie heute muss man ein gutes Gefühl kriegen», sagte der Sieger. «Vor allem mein zweiter Sprung war sehr, sehr gut. Das war Schanzenrekord, aber das ist heute nicht wichtig.»
«Ich habe nur Angst gehabt, dass die abbrechen, die verrückten Hunde», sagte Bundestrainer Werner Schuster, der schon vorher eine Ahnung hatte, dass es ein großer Abend werden könnte. «Wir können Geschichte schreiben», hatte der Österreicher im Vorfeld erklärt, nachdem Wellinger die Qualifikation am Donnerstag gewonnen und sich auch im Training extrem stabil gezeigt hatte. «Das Happy End war auf unserer Seite und ich denke, es war verdient. Ich hatte die ganze Zeit das Gefühl, dass er weiß, was er tut. Der erste Sprung war nicht optimal, der zweite war grandios. Er ist auch ganz runtergesprungen, was man heute gebraucht hat», sagte Schuster beherrscht. Seine große Freude war ihm aber anzusehen.
Noch vor einem Jahr hatte Wellinger bei den Weltmeisterschaften trotz bärenstarker Leistungen jeweils dem Österreicher Stefan Kraft knapp den Vortritt lassen müssen. Nun war der Vierschanzentournee-Zweite und Team-Olympiasieger von 2014 selbst an der Reihe.
Auch die weiteren DSV-Flieger wussten zu überzeugen. Markus Eisenbichler, Richard Freitag und Karl Geiger reihten sich auf den Plätzen acht bis zehn ein. Freitag war voll des Lobes für Wellinger. «Das ist genial», sagte er beim ZDF. «Man hat gestern schon gesehen, dass er hier topfit auf der Schanze ist. Das ist absolut verdient.»
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(dpa)