Lissabon – Die Champions League geriet zum Randaspekt. Kaum war die Dortmunder Mannschaft in Lissabon gelandet, gab es nur noch ein Gesprächsthema: Die Sperrung der Südtribüne.
Dicht umringt von Journalisten versuchte sich Sportdirektor Michael Zorc an einer staatsmännischen Erklärung zur Entscheidung der Vereinsspitze, der Sperrung zuzustimmen: «Wir wollten ein klares Statement setzen, dass wir die Vorkommnisse rund um das Spiel gegen Leipzig in jeglicher Form verurteilen.» Fragen nach den sportlichen Chancen für das Achtelfinale bei Benfica Lissabon gab es keine.
Noch als der Mannschaftsflieger in der Luft war, hatte der DFB die nach der Verunglimpfung des RB Leipzig durch Fans erwartete Sperrung der Südtribüne für das nächste Bundesliga-Spiel der Borussia gegen den VfL Wolfsburg verkündet. Zorc gab sich diplomatisch: «Wir empfinden das Strafmaß als hart. Wir haben eine Kollektivstrafe, obwohl die große Mehrzahl der Fans auf der Südtribüne, die sich nichts zu Schulden kommen ließ, benachteiligt und mitbestraft wird. Trotzdem ist es geboten, zuzustimmen und keine zu kleinteilige Diskussion über Verhältnismäßigkeit zu führen.»
Ähnlich wie Zorc argumentierte Thomas Tuchel: «Ich hoffe, dass das drastische Urteil zu einer Versachlichung der Diskussion führt.» Kritisch fügte der Trainer an: «Die Gelbe Wand ist ein Monument des Welt-Fußballs. Die Kollektivstrafe tut vielen Leuten weh, die sich von Gewalt distanzieren.»
Das Dauerthema der vergangenen Tage sei einer optimalen Vorbereitung auf die Partie in Lissabon nicht zuträglich gewesen. «Es gibt viel Unruhe, die wir mitbekommen. Aber in der Mitte des Sturms ist es immer am ruhigsten. Es ist meine Aufgabe, fokussiert zu bleiben», sagte Tuchel.
Nicht nur das peinliche 1:2 beim Bundesliga-Schlusslicht Darmstadt, sondern auch die Aussicht auf ein Heimspiel ohne die legendäre Gelbe Wand drückte auf die Stimmung. Deshalb war von Vorfreude auf den Beginn der K.o.-Runde in der europäischen Königsklasse nur wenig zu spüren. Ähnlich wortkarg wie beim Abflug gaben sich die Profis auch beim Verlassen des Flughafens in Lissabon.
Immerhin bietet das Duell in der portugiesischen Hauptstadt die Chance zur Frustbewältigung. Wieder einmal könnte die Königsklasse dazu beitragen, die rätselhaften Formschwankungen im Ligaalltag zu kaschieren. «Wir wissen alle, dass wir es in Darmstadt verbockt haben, aber das darf jetzt keine Rolle mehr spielen», sagte Kapitän Marcel Schmelzer.
Torwart Roman Bürki ist davon überzeugt, dass das BVB-Team in Lissabon sein «wahres Gesicht» zeigen wird. Diese Aussage des Schweizer Nationalkeepers verriet viel über den Charakter der Mannschaft. Mit ihrem Auftritt in Darmstadt machte sie wieder einmal deutlich, wie groß bei ihr die Kluft zwischen Fußballkunst auf großer Bühne und dürftigen Vorstellungen in den Bundesliga-Hinterhöfen ist.
Imposante 21 Treffer erzielte der BVB in der Gruppenphase und sorgte damit für einen Rekord. Ousmane Dembélé hofft, dass die Mannschaft in Lissabon wieder ihr Potenzial abruft: «Wir waren im Herbst in der Champions League extrem konzentriert und fokussiert. Ich hoffe, das bleibt jetzt gegen Benfica so», sagte der Dribbelkünstler dem «Kicker».
Doch so leicht wie bei Legia Warschau (6:0) und Sporting Lissabon (2:1) dürfte es beim portugiesischem Meister und aktuellen Tabellenführer nicht werden. «Benfica ist mit Abstand der größte Club in Portugal. Einer, der mit seiner Wucht enorme Dynamik entfachen kann», warnte Zorc.
Immerhin erreichte Benfica noch im vorigen Jahr das Viertelfinale des Wettbewerbs und scheiterte nur knapp am FC Bayern München (2:2/0:1). Weniger respektabel ist dagegen die aktuelle Bilanz in der Champions League. Das Team von Trainer Rui Vitória holte in der Gruppenphase nur acht Punkte und damit die wenigsten aller noch im Wettbewerb verbliebenen Clubs.
Ermutigend ist die jüngste BVB-Bilanz gegen portugiesische Clubs. Sowohl der FC Porto in der vorigen Europa-League-Saison als auch Sporting Lissabon in der diesjährigen Champions League wurden jeweils zweimal besiegt.
Ein couragierter Auftritt im 65 000 Zuschauer fassenden Estádio da Luz soll helfen, sich eine gute Ausgangsposition für das Rückspiel am 8. März in Dortmund zu verschaffen. Zur Freude von Tuchel stiegen am Sonntag die noch in Darmstadt fehlenden Profis Schmelzer, Lukasz Piszczek und Mario Götze wieder ins Training ein. Weltmeister Götze gehörte allerdings noch nicht zum Kader und blieb zuhause.
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(dpa)