Berlin – Die Sehnsucht war größer als die Vernunft. Mit ihrem Gang zu den hinter einem Stadionzaun fröhlich singenden Fans haben die Profis des 1. FC Union Berlin der Debatte um die strengen Hygiene-Regeln der Fußball-Bundesliga in der Corona-Zeit neue Nahrung gegeben.
Jedes mögliche Fehlverhalten seiner Profis und seiner Fans wurde vom Aufsteigerclub noch am Sonntagabend nach dem 1:1 gegen den FC Schalke 04 zurückgewiesen. «Alle haben die Abstandsregeln eingehalten. Es war also alles gewährleistet, was notwendig sein muss, um Infektionen vorzubeugen. Insofern keine Beanstandungen von keiner Seite», sagte Unions Medienchef Christian Arbeit.
Auch die mit zwei Mannschaftswagen angerückte Berliner Polizei sah keinen Grund zum Einschreiten. Lässig lehnten einige Beamte an ihrem Fahrzeug und beobachteten das ausgelassene Schauspiel aus einer gefühlt schon lange zurückliegenden Fußball-Zeit. «Die Polizei hat keine Platzverweise aussprechen müssen. Alle haben sich korrekt verhalten», sagte Arbeit. Auch Unions Torschütze Robert Andrich freute sich einfach über einen Hauch Normalität: «Das ist natürlich überragend und in der Zeit mal richtig schön.»
Tatsächlich waren sich die von Torwart Rafal Gikiewicz angeführten Union-Profis und die rund 30 Fans trotz des Zauns als Barriere aber schon recht nahe gekommen. Ob ein Meter oder zwei Meter oder sogar noch mehr ließ sich im Einzelfall nicht bemessen. Problematischer als ein möglicher Verstoß gegen das «Medizinische Konzept für Training und Spielbetrieb im professionellen Fußball unter den Bedingungen der SARS-CoV-2-Pandemie» ist aber ohnehin die Symbolkraft der Aktion. Die deshalb auch die Deutsche Fußball Liga beschäftigen dürfte.
So romantisch die Zaun-Feier auch anmutete, könnte sie schon für das nächste Union-Heimspiel am 16. Juni gegen den SC Paderborn oder auch für jedes andere Bundesliga-Spiel zahlreiche Nachahmer motivieren. Weil es eben so schön und offenbar sogar erlaubt war. Die schwer zu vermittelnde Diskrepanz zwischen gelebtem Corona-Alltag und den strengen DFL-Regularien hatte in der Vorwoche schon Bayer Leverkusens Sportdirektor Rudi Völler moniert.
Die von vielen befürchteten großen Fanansammlungen wie nach dem Rheinderby zwischen Borussia Mönchengladbach und dem 1. FC Köln im März vor dem Lockdown könnten womöglich doch noch Realität werden. Solche Szenarien waren von der Politik als echtes Risiko für den Not-Spielbetrieb der Bundesliga bezeichnet worden. Und noch müssen vier komplette Spieltage absolviert werden.
Die Union-Fans hatten das ganze Spiel hinter der Tribüne auf der Wald-Seite des Stadions an der Alten Försterei gesungen. Die besondere Architektur der Arena macht es möglich, dass sie dem Stadion ganz nah kommen konnten, ohne auf das Areal zu müssen und ihre Lieder während des Spiels gut hörbar waren. Das würde anderswo in der Bundesliga kaum funktionieren. Geschickt hatten sie sich auf Kleingruppen verteilt, so dass sie der aktuellen «Verordnung über erforderliche Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung des neuartigen Coronavirus in Berlin» genüge taten.
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(dpa)