London (dpa) – Den bittersten Moment seiner Karriere führte Gareth Southgate seinen Spielern noch einmal auf Video vor. Zum fünfminütigen Clip mit guten und schlechten Momenten der englischen Fußballgeschichte gehörte auch sein Fehlschuss im Elfmeterschießen des EM-Halbfinals 1996 gegen Deutschland.
Der heutige Nationaltrainer war mit seinem schwachen Schuss an Andreas Köpke gescheitert, Andreas Möller verwandelte und Englands Traum von «Football’s coming home» bei der Heim-EM war geplatzt.
«Er wollte uns zeigen, wie weit er seitdem gekommen ist», erklärte Stürmer Jamie Vardy nach dem Treffen im Trainingszentrum im St. George’s Park. Southgate wollte das Team vor seinem ersten Spiel nach dem Aufstieg vom Interims- zum Chefcoach am Mittwoch in Dortmund gegen Weltmeister Deutschland (20.45 Uhr) motivieren.
Für Vardy und Co. dürften ohnehin die Szenen aus dem Achtelfinale der EM 2016 in Frankreich deutlich unangenehmer gewesen sein, als sie sich mit 1:2 gegen Außenseiter Island blamierten und ausschieden. Wenn es nach Southgate geht, sollen die Spieler solche Negativerlebnisse abhaken und daraus lernen.
In Zukunft soll es solche Blamagen natürlich nicht mehr geben. Der frühere Nationalspieler und ehemalige U21-Trainer Englands präsentierte am Montag seine ambitionierte Vision. Er wolle England zum «besten Team der Welt» machen, erklärte der 46-Jährige seinen Spielern. Das klingt nicht gerade bescheiden. Team-Neuling James Ward-Prowse vom FC Southampton schwärmte nach dem Treffen von der besonderen Leidenschaft Southgates und einer starken Botschaft.
Seine Vorgänger waren zuletzt nicht gerade vom Glück verfolgt. Lautsprecher Sam Allardyce wurde nach nur einem Spiel entlassen, weil er gegenüber verdeckt ermittelnden Reportern erklärt hatte, wie man die Transferregeln des englischen Verbands umgeht. Der Fußball von dssen Vorgänger Roy Hodgson, der von 2012 bis 2016 im Amt war, wurde mitunter als langweilig kritisiert. Vor ihm leiteten der glücklose Steve McLaren und der Italiener Fabio Capello die Geschicke der Nationalmannschaft.
Jetzt kommt Southgate mit seiner ehrgeizigen Vision und ohne Angst vor heiklen Entscheidungen. Schon als Interimscoach war er im vergangenen Oktober für den mutigen Schritt gelobt worden, Kapitän Wayne Rooney in der WM-Qualifikation gegen Slowenien auf der Bank zu lassen. Für die anstehenden Länderspiele nominierte er den Rekordtorschützen der englischen Nationalmannschaft gar nicht erst – aus Fitnessgründen heißt es zumindest offiziell.
Auch für Überraschungen ist Southgate gut. Er berief den 34 Jahre alten Sunderland-Stürmer Jermain Defoe nach dreijähriger Abstinenz wieder ins Länderspiel-Aufgebot. Defoe zeigte sich beeindruckt und stellte klar, was er vom neuen England-Trainer Southgate hält: «Aus meiner Sicht ist er der perfekte Mann für den Job.»
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