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Rios Herz für die Paralympics

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Rio de Janeiro – Es ist jetzt schon einer der emotionalsten Momente, Gänsehaut im Maracanã-Stadion:

Die frühere Leichtathletin Márcia Malsar, 1984 erste brasilianische Paralympics-Gewinnerin, trägt die Flamme in das Stadion, gestützt auf eine Gehhilfe. Sie verlässt die Kraft, sie stürzt, die Flamme lodert neben ihr liegend am Boden. Nach dem ersten Schreck frenetischer Beifall der Zuschauer, Helfer eilen herbei, helfen ihr wieder auf, sie schafft die letzten Meter. Mehr Symbolik geht nicht: Niemals aufgeben, an sich glauben.

Die unter einer Hirnschädigung leidende Malsar strahlt, völlig erschöpft. Am Ende gelangt das Feuer wie geplant zu dem Schwimmer Clodoaldo Silva, der mit seinem Rollstuhl vor einer riesigen Treppe stoppen muss, oben das Becken, wo er das Feuer entzünden soll – eine dezente Kritik. In der Ausrichterstadt Rio de Janeiro gibt es bisher kaum behindertengerechte Infrastruktur. Plötzlich bilden sich in der Treppe aber Rampen, er kann mit der Flamme hochfahren und das Feuer für die ersten Paralympischen Spiele in Lateinamerika entzünden.

Die Menschen sind begeistert, irgendwie wirkt alles entspannter, lockerer als bei der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele in Rio. Und es berührt die Menschen mehr. Mit Kreativität und Herzlichkeit wollen die Paralympics überraschen – und die ersten Eindrücke der rund 170 Delegationen sind: positiv bis begeistert. Der Chef des Organisationskomitees, Carlos Arthur Nuzman, meint mit Blick auf die Finanz- und Organisationsprobleme: «Brasilianer geben niemals auf.»

Da viele Athleten sehbehindert oder blind sind, geben die Medaillen erstmals Klänge von sich, durch Stahlkügelchen im Innern. Die Bronzemedaille hat 16 Kugeln, wenn man sie schüttelt, gibt sie den leisesten Ton von sich. In der Silbermedaille sind 20 Kugeln. Die Goldmedaille ist mit 28 kleinen Kügelchen am lautesten.

Bei der Eröffnung zeigt Aaron «Wheelz» Fotheringham, was mit Rollstuhl möglich ist. Der US-Amerikaner lässt sich eine 17 Meter hohe Rampe herunterrollen und springt durch einen mit Feuerwerk erleuchteten Ring. Er kam mit Fehlbildungen zur Welt und macht mit dem Rollstuhl Sprünge wie man sie von Skatern und BMX-Fahrern kennt.

Der Strand wird im Maracanã als demokratischer Ort inszeniert, zugänglich auch für behinderte Menschen. 400 Tänzer zeigen das Lebensgefühl der Stadt, dann spielt der berühmte Pianist João Carlos Martins die brasilianische Nationalhymne am Piano – aus 330 grünen, blauen und gelben Segeltüchern und Schirmen wird die Nationalflagge geformt. Auch eine besondere Idee: Jedes einmarschierende Land bringt ein Puzzleteil mit, darauf Fotos ihrer Athleten. Daraus wird in der Mitte ein riesiges menschliches Herz gepuzzelt. Als das letzte Stück eingesetzt ist, fängt das Herz an zu schlagen.

«Wir sind alle Teil einer Welt», betont der Präsident des Internationalen Paralympischen Komitees, der frühere Rollstuhl-Basketballer Philip Craven. Es ist ein sehr lebendiger, fröhlicher Start. Keine Klagen über Pannen oder genervte Teilnehmer.

Rio, diese Stadt der Gegensätze, deren Menschen gelitten haben unter den negativen Berichten über die Olympischen Spiele, feiert die Menschen mit Behinderung. Selten waren in Rio so viele Rollstühle zu sehen, in Copacabana wurden noch schnell an einigen Bürgersteigen abgesenkte Rampen eingebaut, damit man mit Rollstühlen die Straßenseite wechseln kann. Gerade Familien sollen angelockt werden, der Olympiapark kann schon für 10 Reais (2,80 Euro) besichtigt werden. Der Verkauf hat stark angezogen, 1,6 Millionen Tickets wurden bisher abgesetzt. Die Hoffnung: weniger leere Ränge als bei den schon beendeten Spielen.

Der Star der Gastgeber, der mit Fehlbildungen an Armen und Beinen zur Welt gekommene Daniel Dias, will einen Rekord aufstellen. Er könnte als erster paralympischer Schwimmer in Rio seine Bilanz auf bis zu 24 Medaillen verbessern und damit den Australier Matthew Cowdrey (23) überflügeln. Zwei Themen überschatten allerdings den emotionalen Start.

Der weißrussische Sportfunktionär Andrej Fomotschkin marschiert mit einer russischen Fahne ein, sie wird konfisziert. Ein Protest gegen den russischen Komplettausschluss wegen des Doping-Skandals. Und dann ist da noch die politische Krise Brasiliens. Der neue Präsident Michel Temer wird – wie schon bei der Olympia-Eröffnung – gnadenlos von Anhängern der abgesetzten Präsidentin Dilma Rousseff ausgepfiffen. Weil er die nötigen Mehrheiten dafür geschmiedet habe, werfen sie ihm einen Putsch vor. Nach seiner kaum zu hörenden Eröffnungsformel wird sofort ein großes Feuerwerk entzündet, um den Lärm zu übertönen.

Fotocredits: Kay Nietfeld,Kay Nietfeld,Thomas Lovelock For Ois/Ioc,Iliya Pitalev
(dpa)

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