Rio de Janeiro – Aaron Fotheringham zeigt, was trotz Rollstuhl möglich ist. Der US-Amerikaner lässt sich im Maracanã eine 17 Meter hohe Rampe herunterrollen und springt durch einen mit Feuerwerk erleuchteten Ring.
Er kam mit Fehlbildungen zur Welt und macht mit dem Rollstuhl Sprünge wie man sie von Skatern und BMX-Fahrern kennt. Die Menschen sind begeistert, irgendwie wirkt alles entspannter, lockerer als bei der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele in Rio. Emotional wird es, als eine der letzten Fackelträgerinnen, Brasiliens erste Paralympics-Gewinnerin Márcia Malsar (1984, 200 Meter-Sprint), mit der Fackel stürzt und liegenbleibt. Freiwillige helfen ihr auf, das Feuer gelangt zu dem Schwimmer Clodoaldo Silva, der unter großem Jubel die Flamme im Rollstuhl Rampen hochfährt und dann entzündet.
Mit Kreativität und Herzlichkeit wollen die Paralympics überraschen – und die ersten Eindrücke der Delegation sind: positiv bis begeistert. Der Chef des Organisationskomitees, Carlos Arthur Nuzman, meint mit Blick auf die Finanz- und Organisationsprobleme: «Brasilianer geben niemals auf.» Da viele Athleten sehbehindert oder blind sind, geben die Medaillen übrigens erstmals Klänge von sich, durch Stahlkügelchen im Innern. Die Bronzemedaille hat 16 Kugeln, wenn man sie schüttelt, gibt sie den leistesten Ton von sich. In der Silbermedaille sind 20 Kugeln. Die Goldmedaille ist mit 28 kleinen Kügelchen am lautesten.
Am Anfang der Eröffnungsfeier sitzt der Präsident des Internationalen Paralympischen Komitees, der frühere Rollstuhl-Basketballer Philip Craven, in einem Videoclip vor einer Anzeigetafel, der Flug nach Rio ist gecancelt, er wählt Belem und landet hoch oben im Norden.
Dann macht sich Craven im Rollstuhl auf zu einer 3125 Kilometer virtuellen Reise, ist beim Capoeira, am Strand, lernt schnell, dass man in Brasilien immer den Daumen hoch recken muss, alles «tudo bem», auch mit Behinderung. Noch schnell den Cristo besucht, dann taucht er leibhaftig im Maracanã auf, durch das später La-Ola-Wellen schwappen.
Der Strand wird als demokratischer Ort inszeniert, zugänglich auch für behinderte Menschen. 400 Tänzer zeigen das Lebensgefühl der Stadt, dann spielt der berühmte Pianist João Carlos Martins die brasilianische Nationalhymne – aus 330 grünen, blauen und gelben Segeltüchern und Schirmen wird die Nationalflagge geformt. Auch eine besondere Idee: Jedes einmarschierende Land bringt ein Puzzleteil mit, darauf die Fotos ihrer Athleten. Daraus wird in der Mitte ein riesiges menschliches Herz geformt der über 4300 Teilnehmer. Als das letzte Stück, das Brasiliens eingesetzt ist, fängt es an zu schlagen.
«Wir sind alle Teil einer Welt», betont Paralympics-Präsident Craven. Es ist sehr lebendiger Start, am Nationfeiertag. Vor 194 Jahren wurde das Land unabhängig von Portugal. Keine Klagen über Pannen oder genervte Teilnehmer. Und Rio de Janeiro, diese Stadt der Gegensätze, deren Menschen gelitten haben unter den negativen Berichten über die Olympischen Spiele feiern die Paralympics – und alle Menschen mit Behinderung. Selten waren in Rio so viele Rollstühle zu sehen, in Copacabana wurden noch schnell an einigen Bürgersteigen abgesenkte Rampen eingebaut, damit man mit Rollstühlen die Straße wechseln kann.
Gerade Familien sollen angelockt werden, der Olympiapark kann schon für 10 Reais (2,80 Euro) besichtigt werden, der Verkauf hat stark angezogen, schon 1,6 Millionen Tickets gingen weg – die Hoffnung: weniger leere Ränge als bei Olympia. Und der Star der Gastgeber, der mit Fehlbildungen an Armen und Beinen zur Welt gekommene Daniel Dias in will einen Rekord aufstellen. Nach 15 Medaillen 2008 und 2012 könnte er als erster Paralympischer Schwimmer in Rio seine Bilanz auf bis zu 24 Medaillen verbessern und damit den Australier Matthew Cowdrey (23) als Rekordhalter überflügeln.
Bei aller Begeisterung für die Sport-Helden, die der Behinderung trotzen, die politische Krise überschattet auch die Paralympics. Der neue Präsident Michel Temer wird wie schon bei der Olympia-Eröffnung gnadenlos von Anhängern der abgesetzten Präsidentin Dilma Rousseff ausgepfiffen. Weil er die nötigen Mehrheiten dafür geschmiedet habe, werfen sie ihm einen Putsch vor. Sofort nach seiner Eröffnungsformel wird ein großes Feuerwerk entzündet, um den Lärm zu übertönen.
Fotocredits: Thomas Lovelock For Ois/Ioc
(dpa)