Rio de Janeiro – Da kam Tobias Reichmann ganz schön außer Atem. Gleich viermal innerhalb von fünf Minuten musste der Rechtsaußen das gesamte Spielfeld entlangsprinten und wieder zurückrennen.
Viermal versenkte er bei den Kontern den Ball und legte so gegen Schweden den Grundstein für den 32:29-Auftaktsieg der deutschen Handballer bei den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro.
Beim zweiten Gruppenspiel am Dienstag (16.30 Uhr) gegen Polen ist Deutschlands in diesem Jahr erfolgreichster Handballer aber nicht nur als Vollstrecker gefragt, sondern auch als Tippgeber. Reichmann spielt beim Champions-League-Sieger KS Vive Kielce und ist der Polen-Kenner im Team. «Tobi kennt die meisten Spieler sehr gut», sagte Kapitän Uwe Gensheimer.
Reichmann spielt eine traumhafte Saison. Im Januar wurde er in seiner Wahlheimat Europameister, Ende Mai zum dritten Mal Champions-League-Sieger, mit seinem Club polnischer Meister und nun bot er bei seiner Olympia-Premiere mit sechs Toren bei sechs Versuchen erneut Kostproben seines Könnens.
Der sprunggewaltige Rechtsaußen hat längst wieder Begehrlichkeiten in der Bundesliga geweckt. Und so verwundert es wenig, dass er 2017 nach drei Jahren in Kielce in die Heimat-Liga zurückkehrt. Zur Saison 2017/2018 wechselt der gebürtige Berliner zu MT Melsungen, wo er einen Dreijahresvertrag unterschrieben hat. Es ist sein dritter Verein in der selbst ernannten stärksten Liga der Welt nach dem THW Kiel und der HSG Wetzlar. Seine Freundin Sarina und seine Kinder Karl Henry und Ella Sophie werden ihn nach Hessen begleiten.
Die Jahre in Polen haben aus dem guten Außenspieler einen sehr guten gemacht. Reichmann ist als Spieler wie als Persönlichkeit gereift. Als er 2014 nach Kielce ging, wurde er von nicht wenigen belächelt. Doch ihm konnte nichts Besseres passieren. «Ich bereue es nicht, den Schritt gemacht zu haben und nach Polen gegangen zu sein», sagte Reichmann.
Auf seiner Position ist er inzwischen anerkannt. Dabei ist es eher Zufall, dass er Rechtsaußen spielt. Denn eigentlich ist Tobias Reichmann gar kein Linkshänder. Werfen, schreiben, den Löffel halten – das war’s. «Ansonsten kann ich nichts mit links», lüftete er ein kleines Geheimnis.
Mit seiner Treffsicherheit hat sich Reichmann fürs Erste als Nummer eins auf seiner Position vor Patrick Groetzki etabliert. Bundestrainer Dagur Sigurdsson schätzt ihn für seine Qualitäten. Als Berater vor dem Polen-Spiel hat er ihn nicht eingeplant. «Er soll gut spielen. Das ist Hilfe genug», meinte der Isländer.
Dabei ist Reichmann absoluter Insider: Sein Clubtrainer Talant Dujshebaev ist in Personalunion auch Polens Nationaltrainer. «Ich kann vielleicht den einen oder anderen Tipp geben, gerade was die Abwehr angeht, weil es das gleiche ist, was wir auch bei uns in Kielce spielen», sagte er.
Zudem ist ihm zu Ohren gekommen, dass Dujshebaev mit den Spielmachern der Auswahl ein paar Probleme hat, «weil es da noch nicht rundläuft». Die Polen verloren dann auch ihr erstes Spiel in Rio gegen Gastgeber Brasilien mit 32:34.
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(dpa)