München – Zehn Wochen und einen Tag nach dem bitteren WM-K.o. beginnt für die Fußball-Nationalmannschaft das schwierige Projekt Wiedergutmachung. In München ist ausgerechnet Weltmeister Frankreich der erste Gegner in der neuen Nations League.
Joachim Löw vertraut auf ein Grundgerüst an Spielern, die in Russland am historischen Vorrunden-Aus beteiligt waren. Ändern will der Bundestrainer aber Spielweise und vor allem Einstellung.
DIE AUSGANGSLAGE: Dieser Sommer war für Fußball-Deutschland ein einziges Desaster. Dem sportlichen Offenbarungseid mit dem erstmaligen Scheitern in einer WM-Gruppenphase folgte die politisch heikle Debatte um den Rücktritt von Mesut Özil aus Zorn über die Affäre um die Fotos mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. Alle wurden zu Verlierern: Özil, aber auch DFB-Boss Reinhard Grindel und DFB-Direktor Oliver Bierhoff, die die Krise auch nach der Rückkehr aus Russland nicht managen konnten.
Löw agierte geschickter und ließ sich für seine WM-Analyse viel Zeit. Nun muss der Bundestrainer aber liefern. Weitere Niederlagen würden seine Befähigung für den versprochenen Neuaufbau infrage stellen. Der Vorteil gegen Frankreich: Löw weiß, wie schwer es für einen neuen Champion ist, die Spannung hoch zu halten. Sein erstes Spiel nach dem WM-Gewinn ging 2014 gegen Argentinien mit 2:4 verloren.
DAS PERSONAL: Löw vertraut weiter einem Stamm aus Ex-Weltmeistern und Confed-Cup-Siegern. 16 WM-Akteure dieses Sommers sind noch im Aufgebot. Besondere Verantwortung tragen die Rio-Champions von 2014 um Manuel Neuer, Jérôme Boateng, Mats Hummels, Thomas Müller und Toni Kroos. «Ich erwarte von ihnen, dass sie den Karren wieder anschieben», sagte Löw. Kapitän Neuer bleibt im Tor als Nummer 1 vor Marc-André ter Stegen gesetzt. Die drei Neulinge Nico Schulz (1899 Hoffenheim), Kai Havertz (Bayer Leverkusen) und Thilo Kehrer (Paris Saint-Germain) sollen entweder gegen Frankreich oder am Sonntag im Test gegen Peru ihr Debüt im A-Team geben.
DIE TAKTIK: Müller sprach von Trainingsspielen, in denen mit «Mann und Maus» verteidigt wurde. Löw will das eigene Tor auf «Teufel komm raus» besser bewacht wissen. Die Abkehr vom bedingungslosen Ballbesitzfußball zu mehr Stabilität im Gesamtgefüge ist aber eine Gratwanderung. «Wir müssen weiter vernünftigen Fußball spielen, nach vorne, mit dem Ball, das geht gar nicht anders», sagte Kroos. Löw kündigte bereits an, dass die Außenverteidiger nicht mehr so hoch stehen sollen. Von Kontern wie beim 0:1-Auftakt gegen Mexiko will man sich nicht mehr überraschen lassen. Dabei ist es für Löw sekundär, ob man mit einer Dreier-, Vierer- oder Fünferabwehrkette agiert. Einen klassischen Spielmacher sieht Löw unabhängig vom Özil-Rücktritt nicht mehr. «Die Spieleröffnung macht heute die Nummer sechs oder fünf oder vier», erläuterte der Bundestrainer.
DER GEGNER: «Vive la France. Vive la Republique», brüllte Antoine Griezmann in Russland freudetrunken in die Kameras. Frankreich ist nach dem Titelgewinn im absoluten Fußball-Hoch. Für Löw ist die Équipe Tricolore schon seit einigen Jahren das Topteam. Mit Trainer Didier Deschamps verbindet ihn eine Fußball-Freundschaft. Er habe den «Blauen» eine «gute Balance» verpasst. «Starke Defensive, starke Offensive, Ausgewogenheit im Spiel», attestierte Löw den Weltmeistern und damit die Attribute, die er für sein Team zurückgewinnen will.
Beim letzten Test im November 2017 reichte es in Köln gerade so noch zu einem 2:2 durch ein Last-Minute-Tor von Lars Stindl. Der letzte Sieg gegen die Franzosen gelang beim 1:0 im WM-Viertelfinale 2014. Der letzte Heimsieg datiert sogar aus dem Jahr 1987, als Rudi Völler beim 2:1 doppelt traf. Die Gesamtbilanz gegen Frankreich ist bei neun Siegen, sieben Remis und 13 Niederlagen negativ.
DER WETTBEWERB: Löw mag die Nations League. Und auch Müller findet den Wettkampfcharakter besser als Testspiele. Das Format ist nicht so kompliziert, wie viele meinen. Deutschland spielt in der obersten von vier Ligen. Dort wurden die zwölf besten Teams Europas von der UEFA in vier Gruppen aufgeteilt. Neben Frankreich sind noch die Niederlande in der DFB-Gruppe 1.
Nach Hin- und Rückspielen steht im November fest, wer mit den drei anderen Gruppensiegern im Juni 2019 um den Nations-League-Sieg spielt. Die Gruppenletzten steigen für die nächste Auflage im Jahr 2020 in die B-Liga ab.
Für den unwahrscheinlichen Fall, dass die EM-Qualifikation nicht über die normale Ausscheidungsrunde (März-November 2019) gelingt, kann die DFB-Auswahl im EM-Playoff im März 2020 noch nachrücken, sofern man zu den vier besten noch nicht für die EM startberechtigten Mannschaften der Liga A gehört.
Fotocredits: Sven Hoppe
(dpa)