Paris – In Krisensituationen ist ein Kapitän besonders gefordert. Wegducken geht nicht, das weiß Manuel Neuer, der sich vor der Kraftprobe mit den Franzosen um die Topstürmer Kylian Mbappé und Antoine Griezmann im Stade de France rigoros gegen Zweifel an seinem Leistungsvermögen wehrte.
«Ich bin topfit, ich fühle mich gut, während der WM habe ich gute Leistungen gebracht», sagte der 32-Jährige im Stade de France. Auch sein lange verletzter Fuß sei absolut okay. Er habe vielleicht «kein Spielglück gehabt in den letzten Spielen». Ihm fehlten bisweilen aber auch die Möglichkeiten, sich auszuzeichnen.
Neuer plagen keine Selbstzweifel. Und er wurde auch grundsätzlich: Sein Spiel «als großgewachsener Torwart» sei es eben nicht, «durch den Strafraum zu fliegen». Er macht vieles mit gutem Stellungsspiel. «Da kriegt man nicht die Momente, wo man Show-Fliegen macht», sagte er in Abgrenzung zu anderen, spektakulärer haltenden Schlussmännern.
Joachim Löw kündigte im zweiten Teil der DFB-Pressekonferenz einige personelle Wechsel im Vergleich zum 0:3 in Holland an. «Aber Manuel Neuer wird das nicht betreffen. Er wird im Tor stehen», kündigte der Bundestrainer an. An Neuer zweifelt Löw nicht. Und der Kapitän will vorangehen: «Wir kennen den Ernst der Lage. Unser Ziel und unsere Motivation ist sehr hoch, die drei Punkte für uns zu behalten.»
Neuer erinnerte gleich mehrfach an das Hinspiel in München, als die deutsche Elf dem Weltmeister dank einer geschlossenen Mannschafts- und Defensivleistung ein 0:0 abrang. «Es war ein ordentliches Spiel. Wir hatten die Möglichkeit zu gewinnen.»
Nach der Niederlage in Amsterdam und dem Sturz auf den letzten Gruppenplatz in der Nations League wird aber alles hinterfragt rund um die Nationalmannschaft – nicht nur der Bundestrainer. Auch Neuer, mit 32 Jahren der Älteste im Kader, scheint nach der WM und dem neuen Debakel in den Niederlanden den Status des Unantastbaren einzubüßen.
Neuers Rolle im DFB-Kreis hat sich verändert. Die lange Abwesenheit wegen der mehrmaligen Fußverletzung hat den Status des Teamseniors angekratzt. Dass Löw Rückkehrer Neuer vor der WM trotz der langen Wettkampfpause sofort wieder den Nummer-1-Status verlieh, fand nicht nur Konkurrent und Kronprinz Marc-André ter Stegen irritierend.
Neuer war nicht der Schuldige am WM-Debakel. Aber die Ausstrahlung früherer Zeiten verblasst bisweilen. Das Resolute gerade bei hohen Bällen in den Strafraum scheint geschwunden. Das erste Gegentor in Holland nach einer Ecke war ein Beleg. «Das sah unglücklich aus», gab er zu. «Es war eine Torschussflanke, sehr schwer ranzukommen für mich. Wir verlieren dann auch wieder zwei Kopfballduelle. Ich denke, dass ich Mitschuld habe und unsere Defensivspieler auch.» Bis auf das Gegentor aber sei er «sehr zufrieden» mit seinem Spiel gewesen.
In der kritisch geführten Debatte um Löws Treue zu den Weltmeistern von 2014 kann Neuer nicht ausgespart werden. Löw attestiert auch ter Stegen den Status der Weltklasse, die der 26-Jährige beim FC Barcelona regelmäßig nachweist. Trotzdem ist ter Stegen für Löw nur «der kommende Mann». Es liegt an Neuer, die Rangfolge zu bewahren.
Der Kapitän kann selbst nur gut aussehen, wenn die Spieler vor ihm kompakt, stabil und diszipliniert verteidigen. Die Endphase mit zwei weiteren Gegentoren und einem Lattentreffer gegen die Niederlande sei «ein bisschen Harakiri» gewesen, beklagte er. «Da wurdest du eiskalt bestraft», sagte Neuer – und meinte damit auch sich als Torhüter.
Neuer oder ter Stegen? Bei der EM 2020 wird Neuer 34 sein, bei der WM 2022 wäre er 36. Aber er ist der Kapitän und Weltmeistertorwart von 2014. Neuers Länderspielbilanz ist mit 57 Siegen, elf Remis, 13 Niederlagen und 72 Gegentoren in 81 Länderspielen herausragend. Gegen den Weltmeister soll auch bei ihm das «Spielglück» zurückkehren.
Fotocredits: Ina Fassbender
(dpa)