London – Real Madrid, Juventus Turin – und jetzt Tottenham Hotspur? Die furchtlosen Youngster von Ajax Amsterdam wollen ihre Traumreise in der Champions League fortsetzen und das nächste Schwergewicht in der K.o.-Phase stürzen.
Die Fußball-Erben von Edwin van der Sar, Jari Litmanen, Marc Overmars & Co. starten voller Entschlossenheit in ihr erstes Königsklassen-Halbfinale seit 22 Jahren. «Das Gefühl in unserer Gruppe ist, dass wir jedem weh tun können», betonte Angreifer Dusan Tadic vor dem Hinspiel am Dienstag (21.00 Uhr/DAZN und Sky) in London.
Der Serbe hat zu diesem Gefühl maßgeblich beigetragen. Tadic war beim furiosen 4:1 im Achtelfinal-Rückspiel gegen den überrumpelten Titelverteidiger aus Madrid an allen Amsterdamer Treffern beteiligt. «Können wir so weitermachen und den Wettbewerb gewinnen? Naja, wir stehen jetzt im Halbfinale und haben in den vergangenen beiden Runden die Favoriten ausgeschaltet», sagte Verteidiger Matthijs de Ligt. «Die nächsten Spiele werden sehr schwer.»
Die Ajax-Bubies sind an ihren Herausforderungen in dieser Königsklassen-Saison gewachsen – und das ist auch das Verdienst von Trainer Erik ten Hag, der zwei Jahre die zweite Mannschaft des FC Bayern betreute. Die Gruppenphase mit den Münchnern überstanden die Niederländer ungeschlagen, auswärts unterlagen sie kein einziges Mal. «Man hat gesehen, dass Juventus genauso ein wenig Angst vor uns hatte wie auch Real», meinte ten Hag nach dem Erreichen des Halbfinales. «Wir waren nicht die Favoriten, mit unserer Philosophie haben wir unsere Grenzen aber erneut überschritten.»
24 Jahre nach dem letzten Champions-League-Triumph lotet das aktuelle Ajax-Team seine Final-Chancen aus. Im Sommer dürfte von dieser Ansammlung an Hochbegabten nicht viel übrig bleiben. De Ligt (19), Torwart Andre Onana (23) oder Mittelfeldspieler Donny van de Beek (22) werden längst von den Top-Clubs gescoutet. Taktgeber Frenkie De Jong (21) wechselt im Sommer für 75 Millionen Euro Ablöse zum FC Barcelona.
«Wenn man Real Madrid und Juventus besiegen kann, dann braucht man vor keinem Verein mehr nervös zu sein», sagte im «De Telegraaf» Patrick Kluivert, der Ajax 1995 zum Triumph über den AC Mailand geschossen hatte. Der frühere Nationaltrainer Guus Hiddink meinte in «De Volkskrant» allerdings, dass die Unbeschwertheit Amsterdams verfliegen könnte: «Ajax ist jetzt kein Underdog mehr. Sie werden sogar als Favorit angesehen. Es ist die Frage, ob man dann noch so frei spielen kann. Für die Außenwelt sieht es so aus, als hätte man nichts zu verlieren, aber für einen selbst steht alles auf dem Spiel.»
Auf jeden Fall steht sehr viel auf dem Spiel. Und auch Tottenham will in seinem ersten europäischen Halbfinale seit 57 Jahren alles geben. Kurioserweise steckt einiges von Ajax auch im Londoner Team. In Toby Alderweireld, Jan Vertonghen, Davinson Sanchez und Christian Eriksen spielen gleich vier ehemalige Amsterdamer für die Hotspurs, die im Achtelfinale Borussia Dortmund ausschalteten. «Wir kennen sie gut», sagte Mittelfeldspieler Eric Dier. «Das ist ein riesiges Spiel».
Und ausgerechnet vor diesen Festspielen hat Trainer Mauricio Pochettino Sorgen. In der Premier League ist der Vorsprung auf die Europa-League-Plätze geschmolzen. In der Königsklasse fehlen dem Argentinier seine beiden besten Torschützen: Harry Kane ist verletzt, der frühere Bundesliga-Profi Heung-Min Son darf gelb-gesperrt nicht ran. Die Mittelfeldspieler Harry Winks und Moussa Sissoko sind angeschlagen.
«Wir sind ein sehr konkurrenzfähiges Team, wenn wir bei vollen Kräften sind», sagte Pochettino. Stress und Erschöpfung hätten sich aber zuletzt eingeschlichen. Das kann man von Ajax nicht behaupten, für die sogar der vorletzte Spieltag in den Niederlanden zur Schonung verschoben wurde. «Ich habe immer gesagt, dass im Fußball alles möglich ist», meinte Pochettino, «wenn du den Glauben und die Qualität hast.»
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(dpa)