London – Im trüben London durften Mesut Özil und Co. erst einmal lange ausschlafen. Für eine intensive Aufarbeitung des nüchternen und torlosen Unentschiedens im jüngsten Prestigduell mit England sah Joachim Löw keinen Grund.
Dafür stand für den Bundestrainer und seine WM-Kandidaten am Samstag in der englischen Metropole eine Sightseeing-Tour mit Speedboot-Fahren auf der Themse und eine Fahrt im London Eye auf dem Programm. Auch für einen polyglotten Profi wie Weltmeister Mats Hummels etwas Besonderes: «Ich war schon hundert Mal hier und habe noch nichts gesehen.»
Die Aussicht vom 135 Meter hohen, verglasten Riesenrad war für die London-Besucher ein bisschen verschleiert – das trifft auch auf Löws Blick Richtung WM 2018 noch zu. «Wir haben eine gute Basis, aber sind zum jetzigen Zeitpunkt auch nicht so eingespielt. Der Feinschliff wird eh gemacht, wenn wir ins Trainingslager gehen», sagte Löw. Der Chef des anspruchsvollen Vorhabens WM-Titelverteidigung in Russland wirkte völlig kontrolliert. Wirklich große Erkenntnisse im 36. Spiel gegen die erstarkten Three Lions gab es nicht.
«Es lässt mich jetzt emotional nicht hochspringen. Es gab schon Klassiker England gegen Deutschland mit einer ganz anderen Emotion, wenn es um viel ging, mit strittigen Entscheidungen, knappen Ergebnissen», erklärte Löw zum 0:0 im vorletzten Länderspiel des Jahres 2017. «Es war eine gute Mannschaftsleistung. Mats Hummels war sicher in der Defensive der Stabilisator. Er hat viele Bälle bereinigt. Aber alle haben gut gearbeitet und viel investiert. Natürlich gibt es Verbesserungsmöglichkeiten.»
Am Dienstag kann sich die deutsche Nationalmannschaft noch einmal mit einem Mitfavoriten um die WM-Krone im kommenden Jahr messen. In Köln kommt es zum Aufeinandertreffen mit den Franzosen, dann wieder in anderer personeller Besetzung. «Letztlich sind das Spiele, in denen wir uns selbst testen müssen», sagte Rückkehrer Ilkay Gündogan. «Ich möchte einzelne Spieler sehen, wie sie sich auf dem Niveau verhalten. Das sind für mich die wichtigsten Erkenntnisse. Über das Training können wir nicht mehr so viele tun», bemerkte der Bundestrainer.
Die wichtigsten Fakten des 0:0: Deutschland ist nun schon 20 Spiele seit dem Sommer 2016 ungeschlagen. Manchester-City-Profi Gündogan, den Löw seit Jahren für einen Mann mit riesen Möglichkeiten hält, hat sich nach einem Jahr der Leiden mit einer guten, wenn auch ausbaufähigen Leistung im DFB-Team zurückgemeldet. Marcel Halstenberg durfte sich für ein durchaus gelungenes Debüt im Adler-Trikot feiern lassen. Und neue taktische Momente haben vor 81 382 Zuschauern im Londoner Fußball-Tempel in Ansätzen auch ganz gut funktioniert.
«Obwohl wir ein bisschen anders gespielt haben, abwartender, hatten wir große Chancen aus dem Konterspiel heraus. Wie es die Mannschaft auch beim Confed Cup gemacht hat», erklärte Hummels, der als Abwehrchef mit einem sehr guten Spiel und viel Entschlossenheit maßgeblich dazu beitrug, dass England auch nach 42 Jahren auf der Insel die deutsche Elf nicht bezwingen konnte. «Es war einfach ein Austesten von einer leicht anderen Spielweise, die uns gegen gewisse Gegner noch einmal sehr wichtig werden kann», betonte Hummels.
Persönlich genoss der 28 Jahre alte Münchner die erstmalige Rolle als Ersatzkapitän. «Es war definitiv ein schöner Moment, in Wembley gegen England die deutsche Nationalmannschaft als Kapitän anzuführen.» Auch der Leipziger Linksverteidiger Halstenberg (26) konnte sich über seine Premiere freuen: «Für den Einstand war es gar nicht schlecht. Die erste Halbzeit war ganz gut. Die zweite war ich dann ein bisschen weniger im Spiel, hatte weniger Ballkontakte. Aber es hat auf jeden Fall viel Spaß gemacht.»
Löw befand: «Er hat das ohne Nervosität gemacht, hat sauber hinten rausgespielt. Deswegen war ich absolut zufrieden.» Halstenbergs Position ist vor allem durch den Ausfall des Kölners Jonas Hector die derzeit größte Baustelle.
Den ausgemachten Optimierungsbedarf auch in anderen Bereichen stufte Löw als wenig dramatisch ein. Denn sieben Monate vor Turnierstart in Russland sieht der DFB-Chefcoach den Weltmeister noch in der Probierphase. «Was wir besser machen müssen, ist nach Ballgewinn mit Dynamik zum Tor zu gehen», sagte Löw: «Wir hätten besser agieren können im Umschaltspiel nach vorne. Das ist wichtig, dass wir das einschleifen Richtung WM.»
Gegen die jungen, starken Franzosen will der Weltmeister-Trainer andere Varianten probieren. Özil im eher defensiven Mittelfeld wie im Wembley wird es zunächst nicht mehr geben, zumal die Stammkräfte Sami Khedira und Toni Kroos nach einer Pause gegen England nun in Köln wieder bereit sind. Löw wollte gegen England ballsichere Spieler in der Zentrale, die von hinten kommen. «Klar, seine Position ist normalerweise eins weiter vorne», sagte er über Özil.
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(dpa)