Pyeongchang (dpa) – Uwe Müssiggang war für das deutsche Damen-Biathlon das, was Heiner Brand für den Männer-Handball darstellte. Unter seiner Regie begeisterten die Goldene Generation um Kati Wilhelm sowie Andrea Henkel und später Rekord-Weltmeisterin Magdalena Neuner die deutschen Fans.
Jetzt verfolgt der einstige Erfolgscoach die Olympia-Rennen zu Hause auf der Couch. Er ist aber immer noch am Team dran, telefoniert regelmäßig mit Damen-Bundestrainer Gerald Hönig.
Welche Erwartungen haben Sie an das deutsche Team?
Uwe Müssiggang: Das Team ist sehr gut aufgestellt. In allen Staffeln sind sie in der Lage, Medaillen zu holen und auch in den Einzeldisziplinen ist was drin. Ich denke, mit vier bis fünf Medaillen kann man rechnen. Aber ob das dann immer so klappt, ist auch von anderen Faktoren abhängig. Aber vom Potenzial her sind sie dazu in der Lage.
In Sotschi 2014 erlebten die deutschen Damen unter Ihrer Führung ein Debakel, erstmals überhaupt gab es keine Medaillen für sie. Spielt das in den Köpfen jetzt noch eine Rolle?
Müssiggang: Das ist kein Thema mehr. Die Kritik war berechtigt, aber auch überzogen. Man hat im Vorfeld das Team falsch eingeschätzt. Sie haben ein paar gute Ergebnisse im Vorfeld gebracht, aber keine einzige Podestplatzierung. Wir hätten in der Damen-Staffel sicher eine Medaille holen können oder müssen. Dass Franziska Preuß nach der ersten Runde mit einem Rückstand von zwei Minuten als Letzte ankommt, damit konnte niemand rechnen. Da kam einfach alles zusammen, was man an Pech haben kann. Das ist aus meiner Sicht etwas untergegangen.
Magdalena Neuner verbindet den Trubel um sie bei Olympia 2010 in Vancouver auch mit negativen Erlebnissen. Kann so etwas auch auf Laura Dahlmeier im Erfolgsfall zukommen?
Müssiggang: Für Lena waren es damals ihre ersten Olympischen Spiele. Laura hat ja schon in Sotschi erste Erfahrungen gesammelt und weiß, was da alles anders läuft als bei Weltmeisterschaften oder Weltcups. Ich denke, dass sie da persönlich schon anders vorbereitet ist. Und selbstverständlich werden auch von Trainer- und Betreuerseite Dinge neu bewertet und da sicher einige Schutzmechanismen eingebaut.
Trauen Sie Laura Dahlmeier zu, eines der Olympia-Gesichter zu werden?
Müssiggang: Auf jeden Fall. Laura ist von den Vorleistungen, die stabilste Biathletin, die wir je in der Mannschaft hatten. Bisher war niemand in der Lage, im Spitzenbereich zu schießen und zu laufen. Meistens hatte eine die Stärke am Schießstand, die andere in der Loipe. So eine Athletin wie Laura, die in beiden Teildisziplinen absolute Spitzenwerte liefern kann, gab es eigentlich noch nicht.
Ex-Langläuferin Denise Herrmann hat sich nach kurzer Zeit im Biathlon schon zur Siegläuferin entwickelt. Was erwarten Sie von ihr?
Müssiggang: Denise Herrmann bringt Spitzenwerte in der Laufleistung und wenn sie am Schießstand gut durchkommt, ist sie auch eine Medaillenkandidatin. Sie ist wie früher Kati Wilhelm aus der nationalen Langlaufspitze gekommen. Wenn eine Langläuferin zum Biathlon kommt, muss sie eigentlich das Niveau mitbestimmen und das tut sie. Und Denise hat einen sehr guten Umgang mit dem Gewehr und sehr schnell einen Bezug dazu entwickelt. Das habe ich sehr früh auch schon gesehen und deshalb hat es mich nicht so überrascht.
Simon Schempp ist das Sorgenkind. Trauen Sie ihm trotzdem seiner hartnäckigen Rückenprobleme erfolgreiche Spiele zu?
Müssiggang: Für den Kopf ist es nicht gut, wenn man immer wieder gesundheitliche Probleme hat. Aber ich denke, Simon ist Profi genug, weiß, was bei Olympia auf dem Spiel steht, und kann das trotzdem noch aus dem Kopf rauskriegen. Wenn er schmerzfrei antreten kann, ist er auch einer der Medaillenkandidaten.
Die Erwartungen an die deutschen Biathleten sind traditionell hoch. Ist die Kritik bei ausbleibenden Podestplätzen zu schnell zu groß?
Müssiggang: Kritik kann und muss sein. Es sollte aber eine objektive und sachliche Kritik sein. Das ist auch das, was sich die Athleten wünschen. Aber angenommen man hat extreme Witterungsverhältnisse wie Wind oder Schnee, dann muss man wie beim Skispringen auch das Ergebnis genau analysieren. Ich denke, die Athleten wissen, was auf sie zukommt und sie werden auch mit einer Kritik umgehen können. Man hofft nur, dass es eine sachliche Kritik ist. Ansonsten ist es schon ärgerlich. Wie in Sotschi bei den Damen. Das war keine gestandene, homogene Mannschaft. Da waren noch Juniorinnen dabei. Das war für uns das Ärgerliche, dass man das vollkommen außer acht gelassen hat.
ZUR PERSON: Uwe Müssiggang (66) war von 1991 bis 2014 Trainer im deutschen Biathlon-Team. Erst als Damen-Chefcoach, später dann als Cheftrainer der Damen und Herren. Unter seiner Führung holten die Damen bei Großereignissen wie Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften 77 Medaillen.
Fotocredits: Kay Nietfeld