Bremen – Für ein Wunder war Florian Kohfeldt das spektakuläre Bundesliga-Finale noch zu wenig. Außergewöhnlich aber war es allemal, was sich am letzten Spieltag rund um Werder Bremen abspielte.
Von den meisten längst abgeschrieben, retteten sich die Grün-Weißen am Samstag mit einer spektakulären Offensiv-Gala gegen den 1. FC Köln doch noch in die Relegation und vermieden vorerst den ersten Abstieg aus dem Fußball-Oberhaus seit 40 Jahren. In zwei Duellen gegen den Dritten der 2. Liga hat Werder nun die Chance, eine völlig verkorkste und aus dem Ruder gelaufene Saison doch noch zu einem versöhnlichen Ende zu bringen.
«Wunder wäre vielleicht noch etwas zu hoch gegriffen», sagte Kohfeldt nach dem 6:1 (3:0) gegen die lust- und leidenschaftslosen Kölner, das wegen der parallelen 0:3-Niederlage von Fortuna Düsseldorf bei Union Berlin zum Last-Minute-Sprung auf Platz 16 reichte. «Wenn wir es am Ende noch schaffen, dann würde ich es in der Kategorie einordnen», sagte der Trainer der Norddeutschen, die in ihrer Club-Geschichte schon für so manches Wunder von der Weser gesorgt haben.
Doch bis dahin sind es eben noch zwei Schritte und Kohfeldt war sofort nach dem Schlusspfiff bemüht, den Fokus auf die nun anstehende Saison-Verlängerung zu legen. «Wir haben noch gar nichts erreicht. Die brutale Drucksituation bleibt bestehen», sagte der 37 Jahre alte Coach, der nach dem erst zweiten Heimsieg der Saison sofort in die Kabine flüchtete, um das zuvor Erlebte für sich zu verarbeiten.
Während der wegen der dramatischen sportlichen Talfahrt ebenfalls heftig in die Kritik geratene Werder-Coach Demut vor der schweren Aufgabe in der Relegation predigte, herrschte rund um das Bremer Weserstadion erstmals seit langer Zeit wieder Euphorie. Einige hundert Werder-Fans hatten sich nach dem nicht mehr für möglich gehaltenen Verlassen der direkten Abstiegsplätze vor der Arena am Osterdeich versammelt und feierten die Spieler, als sei das eigentlich ausgegeben Saisonziel Europa League erreicht worden.
Die Polizei musste anrücken und die Anhänger an die Abstandsregeln in Corona-Zeiten erinnern, insgesamt verlief aber alles im geordneten Rahmen, auch wenn sich der Club mit Blick auf das Hinspiel in der Relegation am Donnerstag zu einem Appell veranlasst sah. «Haltet weiterhin durch und vermeidet größere Menschenansammlungen. Wir schaffen das alles zusammen!», schrieb Werder bei Twitter.
Doch der Stimmungsumschwung rund um den Club könnte neben den zum Ende der Saison endlich größer werdenden personellen Möglichkeiten zum entscheidenden Faktor für Werder werden. Noch vor dem Spiel hatte rund um das Weserstadion Tristesse geherrscht, die aus dem Nichts kommende Tore-Show von Yuya Osako (22. Minute, 58.), Milot Rashica (27.), Niclas Füllkrug (29.), Davy Klaassen (55.) und Josh Sargent (68.) bei einem Gegentreffer von Dominick Drexler (62.) sorgte dann für große Euphorie.
Auch die Entscheidungsträger atmeten nach dem vorerst abgewendeten Abstieg erst einmal tief durch, mahnten aber zur Besonnenheit. «Wir sind selbstbewusst, aber auch vorsichtig, da wir in dieser Saison nach Erfolgen immer wieder Negativerlebnisse hatten. Die Situation bleibt schwierig. Es ist noch nichts erreicht», sagte Bremens Aufsichtsratsboss Bode am Sonntag in der TV-Sendung «Doppelpass» bei Sport1. «Wir sind immer noch mit einem Bein in der Zweiten Liga.»
Für den Fall des Abstiegs hatte Bode bereits für Sonntag den Beginn der Aufarbeitung angekündigt, in der es vor allem um die Zukunft von Kohfeldt, aber auch von Geschäftsführer Frank Baumann gehen sollte. Nun konnten die Bosse die kritische Analyse erst einmal aufschieben. Stattdessen stand die Vorbereitung auf die Relegation auf dem Programm.
«Wir müssen die Anspannung hoch halten und dürfen keinen Millimeter nachlassen», sagte Kohfeldt, der zudem noch auf die bemerkenswerten Orakel-Künste seiner Frau vertrauen kann. Die hatte das 6:1 als wohl einzige Person auf diesem Planeten in einer Nachricht an ihren Mann vorhergesagt. «Das hat sie gut gemacht», lobte Kohfeldt. «Ich hoffe, sie schreibt mir am Donnerstag und Montag wieder ein paar gute Zahlenverhältnisse.»
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(dpa)