Hockenheimring – Die kleinste Fahrer-Fraktion seit 1996, der eine Traditionskurs schon seit Jahren nicht mehr dabei und der andere vor dem möglichen Abschied: Deutschland steckt in der Formel-1-
Sackgasse.
Dass auf dem Hockenheimring an diesem Wochenende beim vorerst letzten Großen Preis von Deutschland die Zuschauerzahl von 2006 erreicht werden könnte, liegt nicht nur an Sebastian Vettel oder Mercedes bei deren Heimspiel – sondern an Tausenden niederländischen Fans, die ihren Max Verstappen zum Sieg im Red Bull treiben wollen.
Der 20 Jahre alte Niederländer hat das ausgelöst, was Deutschland wieder bräuchte: einen Hype. Wie einst Michael Schumacher die Massen an die Strecken lockte und für Topwerte bei den TV-Übertragungen sorgte. Dass seit diesem Jahr in RTL nur noch ein Sender im Autoland Deutschland die Formel 1 überträgt, nachdem der Bezahlsender Sky nach der vergangenen Saison den Vertrag nicht mehr verlängerte, dürfte auch als entsprechendes Zeichen gewertet werden.
«Vielleicht musst du erst ein bisschen eine Art Durchhänger haben, von dem du dich dann erholen kannst», sagt Mercedes-Teamchef Toto Wolff. Auch andere glauben, dass Deutschland durch die Erfolge von Schumacher und Vettel einfach müde geworden ist auf die Formel 1.
1994 löste Schumacher mit dem ersten Formel-1-Titel für einen deutschen Piloten den Hype aus, sechs weitere allein von dem mittlerweile 49-Jährigen sollten folgen. Dazu kamen die vier Triumphe von Vettel noch zu Red-Bull-Zeiten und der WM-Gewinn von Nico Rosberg im Mercedes: Macht allein zwölf deutsche Weltmeister-Titel in den vergangenen 24 Jahren. Die Zahl eingesetzter deutscher Fahrer pro Saison stieg 2010 bis auf sieben von insgesamt 27: mehr als ein Viertel. In der Hoch-Zeit Schumachers fanden jährlich zwischen 1995 und 2006 Rennen sowohl auf dem Nürburgring als auch auf dem Hockenheimring statt.
Und jetzt wird gerätselt, wie es mit der Formel in Deutschland weitergeht. Die Verhandlungen der Verantwortlichen des Hockenheimrings mit den Bossen der Formel 1 über ein Rennen 2019 scheiterten. «Wir wollen und können kein Risiko mehr eingehen», betont Geschäftsführer Georg Seiler von der Hockenheimring GmbH immer wieder. Die Antrittsgebühren müssen gesenkt werden, sonst wird jedes Rennen zum großen finanziellen Wagnis. Kommen die erhofften 70.000 Zuschauer beim 36. Grand Prix auf dem Hockenheimring, erreicht man dort zumindest die schwarze Null. Profit wird woanders gemacht.
Außerdem wird die Konkurrenz für die Große Kreisstadt Hockenheim nicht kleiner. Selbst wenn es bereits die ersten Rückschläge gab, will Miami bald die Formel 1 begrüßen. Show, Glamour – perfekt. Auch und erst recht im Sinne der neuen US-Besitzer der Formel 1. Dazu werden Metropolen wie Hanoi oder Buenos Aires als nächste künftige Standorte der milliardenschweren Motorsport-Königsklasse gehandelt.
Wie soll Deutschland da die Kurve kriegen? Erst recht, wenn man sich die Fahrersituation anschaut. Vettel ist 31 Jahre alt, sein Vertrag läuft noch bis Ende 2020. Er konnte aber schon bei seinen vier WM-Titeln noch nicht die Euphorie entfachen, wie es einst Erfolgs-
Wegbereiter Schumacher gelungen war. Hülkenberg ist 30, er wartet immer noch auf seinen ersten Podiumsplatz in der Formel 1.
Als Anwärter aus sportlicher Sicht auf ein Cockpit in der Formel 1 gilt Maximilian Günther aus Rettenberg, EM-Zweiter in der Formel 3 2016 und EM-Dritter im vergangenen Jahr. Vor knapp zwei Wochen feierte der 21-Jährige in der Formel 2 seinen ersten Rennsieg. «Natürlich ist die Formel 1 mein großes Ziel», sagt er. Doch damit beschäftige er sich aktuell nicht.
Einen neuen Boom auslösen könnte vielleicht Mick Schumacher, der 19 Jahre alt Sohn des Rekordweltmeisters. Allerdings muss er erst noch die nötigen Punkte für den Formel-1-Führerschein sammeln. Derzeit belegt er in der Formel 3 in seiner zweiten Saison den achten Rang. Dafür würde es am Saisonende drei Punkte geben, 40 braucht ein Nachwuchsfahrer für die Superlizenz. Auch dieser Weg ist noch lang.
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(dpa)