Berlin – Teamchef Toto Wolff weiß am besten, welche besondere Wirkung die Verpflichtung von Sebastian Vettel für Mercedes hätte.
Natürlich sei «ein deutscher Fahrer in einem deutschen Fahrzeug eine gute Marketing-Story», sagte der Motorsportchef der Silberpfeile dem österreichischen TV-Sender ORF. Aber: «Wir sind ausschließlich auf Erfolg gepolt.» Und da spielt die Herkunft nicht die größte Rolle.
Nach seinem Aus bei Ferrari zum Jahresende hat der viermalige Weltmeister Vettel für 2021 noch kein Cockpit gefunden. Der 32-Jährige würde angeblich selbst einen Wechsel zu Mercedes bevorzugen, weil er dort noch die besten Chancen auf einen weiteren Titel hätte. Doch wie realistisch ist dieses Szenario überhaupt?
«Der Sebastian ist natürlich jemand, der wirklich gut ist», sagte Wolff. Und das nicht zum ersten Mal. Der Stratege aus Österreich ist sich bewusst, welche Aufmerksamkeit seine Worte erzeugen und wird etwas realistischer, wenn es um einen klareren Blick in die Zukunft geht. Zwar gebe es auch eine «Sebastian-Vettel-Variante», wie Wolff selbst formulierte, «aber das ist nicht die allererste Agenda, weil wir uns auf unseren eigenen Fahrerkader konzentrieren müssen».
Die Verträge von Weltmeister Lewis Hamilton (35) und Vize-Champion Valtteri Bottas (30) laufen zum Jahresende ebenfalls aus. Dass der Brite Hamilton das Team verlässt, ist aufgrund fehlender Optionen so gut wie ausgeschlossen. Beim Finnen Bottas könnte das schon anders aussehen. Allerdings hat Mercedes im Briten George Russell (22), der derzeit noch für Williams fährt, einen aufstrebenden Youngster in der Hinterhand. Der 48 Jahre alte Wolff garantierte seinen Piloten Loyalität, sagte der «Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung» aber auch: «Kein gutes Team wird es einfach ignorieren, wenn ein vierfacher Weltmeister plötzlich auf dem Transfermarkt auftaucht.»
Für Vettel scheint Mercedes nach dann sechs Jahren bei Ferrari die einzige Möglichkeit zu sein, noch eins der Top-Cockpits zu bekommen. Sein ehemaliger Rennstall Red Bull, für den er von 2010 bis 2013 viermal in Serie Weltmeister wurde, setzt weiter voll auf Max Verstappen. Es blieben eigentlich nur noch Teams wie Renault aus dem Mittelfeld oder eventuell Williams, die hinterherfahren. Das wird sich Vettel im Herbst seiner Karriere nicht antun. Der frühere Formel-1-Boss Bernie Ecclestone würde diesen Schritt allerdings begrüßen. «Er sollte etwas Neues aufbauen – wie damals, als er bei Red Bull angefangen hat», sagte der 89-Jährige der «Bild am Sonntag».
Ein Karriereende Vettels scheint möglich, denn eine Alternative zur Formel 1 gibt es für den Hessen nicht. Die vollelektrische Rennserie Formel E hatte er einst öffentlich als «Käse» bezeichnet und seine Meinung nie entscheidend geändert. Auch in der DTM wäre sein Gehalt für niemanden finanzierbar. Also: Mercedes oder Rücktritt?
Es bleibt fraglich, ob die Silberpfeile eine explosive Fahrerpaarung Hamilton/Vettel wirklich wollen. Der frühere Vize-Weltmeister David Coulthard hatte dem Team davon abgeraten, weil Hamilton ohnehin nicht mehr Motivation brauche, um zu dominieren. Bottas ist seit 2017 die klare Nummer zwei und gegen Hamilton ohne Chance, wenn es ernst wird. Nico Rosberg forderte den Superstar 2016 zuletzt so richtig und holte den Titel.
In jener Saison herrschte bei Mercedes allerdings höchste Zoff-Gefahr und Wolff musste immer wieder moderieren, nachdem sich beide sogar gegenseitig ins Auto fuhren. Mit zwei Superstars und insgesamt zehn WM-Titeln in der Garage würde sich erneut niemand in die Rolle der Nummer zwei fügen. Das bewies Vettel schon 2019, als er sich mit Ferrari-Youngster Leclerc offen auf und neben der Strecke duellierte, um seine Vormachtstellung im Team zu behalten. Doch das misslang.
Und dann wäre da noch die Frage des Gehalts. «Finanzielle Gründe haben bei dieser gemeinsamen Entscheidung keine Rolle gespielt», sagte Vettel zur Trennung von Ferrari. Aktuell sind Hamilton und Vettel mit Einkommen jeweils im mittleren achtstelligen Euro-Bereich die Top-Verdiener der PS-Szene und für ein Team in dieser Form wohl kaum finanzierbar, wenn keiner zu Abstrichen bereit ist.
Eine schnelle Entscheidung für das künftige Mercedes-Duo ab 2021 dürfte es ohnehin nicht geben, deutete Wolff schon an und sagte zu Vettels Zukunft auch: «Sebastian hat alle Fäden in der Hand.»
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(dpa)