Longwy – Marcel Kittel weinte vor Glück, und auch die Gastgeber waren überwältigt. «Le Kaiser» nannte ihn der Toursprecher, als der Erfurter Topsprinter nach seinem insgesamt zehnten Etappensieg bei der Tour de France die Bühne zur Siegerehrung in Lüttich hinaufstieg.
«Kittel hat Flügel», schrieb die «L’Équipe». «Das war der schönste meiner zehn Siege», sagte Kittel, der sich am Abend nach seinem außerordentlichen Triumph im Fahrerhotel «Chateau Les Thermes« als Kellner verdingte. Er servierte seinen Teamkollegen der belgischen Quick-Step-Mannschaft ein Gläschen Champagner.
Die kleine Feier dürfte bald ihre Fortsetzung finden, noch etwa acht Etappen entsprechen dem Anforderungsprofil für einen Massensprint. Kittels Explosivität im Schlusssprint in Lüttich verriet nämlich: In dieser Tour ist der Thüringer der stärkste Sprinter, auch ohne optimale Vorbereitung durch seine Mannschaftskameraden.
«Die Zeiten der Sprinter-Züge à la Cipollini sind ohnehin vorbei», meinte der Träger des Grünen Trikots und nahm Bezug auf vergangene Zeiten, in denen sich der italienische Topsprinter im Windschatten seines Teams zu den Siegen regelrecht tragen ließ.
So emotional hatte man Kittel, den blonden Hünen mit dem meist strahlenden Gesicht, selten erlebt. «Es war ein fantastischer Tag mit dem Start in Deutschland und den vielen Fans am Straßenrand. Diese Momente werde ich niemals vergessen. Meine Name wird mit dem Grand Départ in Deutschland für immer verbunden bleiben», sagte Kittel.
Vom gefeierten Tour-Helden im Jung-Siegfried-Look fiel am Sonntagabend ein großer Druck. Der 29-Jährige, einer der Anführer der Garde der neuen deutschen Radsportler, hatte dem Tour-Auftakt den Stempel aufgedrückt. Nachdem Tony Martin das Gelbe Trikot in Düsseldorf verpasst hatte, knüpfte Kittel an die Siegesserie der «Tour d’Allemagne» der Vorjahre an. Fortsetzung folgt womöglich.
Wahrscheinlich fahren Martin und Kittel als Erfolgsgespann im kommenden Jahr wieder in einem Team. «Das ist noch viel zu früh, darüber verschwenden wir keinen Gedanken», erklärte zwar Marcel Klöpping vom Bielefelder Sponsor Alpecin, dem Hauptgeldgeber in Martins Katusha-Team.
Kittel, dessen Vertrag zum Jahresende ausläuft, will seine Verhandlungen noch in der Tour abgeschlossen wissen. Seine Verhandlungsposition ist gut, vielleicht ist der Sprintstar nach der Tour deutscher Rekord-Etappensieger. Nach Sieg Nummer zehn fehlen nur noch zwei Erfolge bis zur Bestmarke von Erik Zabel. «Es geht mir nicht um Zahlen, sondern um Momente», sagte Kittel.
Es gebe auch andere Interessenten als sein Quick-Step-Team, hatte er bei den deutschen Meisterschaften in Chemnitz wissen lassen. Der alt gediente Quick-Step-Teamchef Patrick Lefevere hat ein Luxusproblem: Zwei Topsprinter unter einem Dach. Der Newcomer neben Kittel heißt Fernando Gaviria und gewann beim vergangenen Giro vier Etappen. «Beide zusammen könnten wir nie zur Tour mitnehmen. Wir werden dieses Problem bald lösen», erklärte Lefevere in Lüttich.
Auch der Vertrag des – wesentlich preiswerteren – Kolumbianers Gaviria läuft aus. Ob sein augenblicklicher Boss Kittels gestiegene Gehaltsforderungen erfüllen will, ist fraglich. Für einen einheimischen Sponsor ist Kittel ein Geschenk.
Fotocredits: Dirk Waem
(dpa)