Berlin – Eigentlich wäre Laura Dahlmeier jetzt in der Vorbereitung auf die neue Saison. Doch ihr Gewehr hat die 26-Jährige in die Ecke gestellt und studiert nun Sport, ganz ohne Druck. Und auch durch die Corona-Krise geht der Biathlon-Star a.D. entspannt.
Zwar muss die 26-Jährige wieder jeder andere die Einschränkungen in Kauf nehmen. Sie geht damit aber locker um. Und hofft, dass nach der Krise einiges anders wird.
Am 17. Mai 2019 haben Sie Ihr Karriereende verkündet. Wie war das für Sie kurz vor Ihrem Rücktritt?
Laura Dahlmeier: Ich habe damals hin und her überlegt. Ist es die richtige Entscheidung? Ist die Zeit reif für den Rücktritt? Es war eine Erleichterung, als ich mich entschieden und es verkündet habe.
Die Entscheidungsfindung muss Sie ganz schön belastet haben. Wann genau ist sie gefallen?
Dahlmeier: Ich hatte schon während der ganzen letzten Saison immer mal wieder solche Gedanken. Für mich war schon immer klar, dass ich Biathlon nicht ewig machen werde. Nach Pyeongchang war für mich klar, dass ich nie wieder zu Olympia fahren werde. Das waren für mich perfekte Rennen, besser kann ich es nicht. Als ich in meiner letzten Saison, die etwas holprig war, bei der WM noch mal eine Medaille gewinnen konnte, waren die Gedanken schon sehr gereift, dass es meine letzte Saison sein wird.
Mit wem haben Sie sich beraten?
Dahlmeier: Ich habe mit gar keinem darüber gesprochen. Es war mir wichtig, dass es meine Entscheidung ist und mich von außen niemand beeinflusst. Als die Entscheidung gefallen war, habe ich die nächsten drei, vier Wochen überlegt, passt es, geht es dir gut damit. Wie geht es dir in einem Jahr damit. Als ich es für mich positiv beantwortet habe, habe ich es kommuniziert.
Wäre Ihre Entscheidung anders ausgefallen, wenn Olympia 2022 nicht in Peking, sondern in einem traditionellen Wintersportort gewesen wären?
Dahlmeier: Ich würde es nicht nur darauf schieben, aber es beeinflusst eine Entscheidung dann doch. Unterbewusst macht es schon was aus. Und ich habe mir gedacht, es ist doch schade, wenn Olympische Spiele irgendwo stattfinden, wo kaum Leute sind und nicht mitgefiebert wird. Wenn Olympia in Cortina oder irgendwo bei uns in der Alpenregion gewesen wäre, dann hätte ich mir das sicherlich noch mal genauer überlegt. Es hätte die Entscheidung deutlich schwerer gemacht.
Dabei ist Olympia das Größte für einen Sportler.
Dahlmeier: Olympia ist das Größte, wenn man es von außen betrachtet. Ich habe immer diesen Traum gehabt und ich bin extrem dankbar, dass es geklappt hat. Aber Olympia ist ganz anders, als man es sich vorstellt. Irgendwie so unecht.
Können Sie das genauer beschreiben?
Dahlmeier: In Pyeongchang waren die Biathlon-Rennen auf einem Golfplatz und so hat es auch vom ersten bis zum letzten Moment angefühlt. Es hat sich keiner richtig ausgekannt. Es war einfach von der sportlichen Seite her ganz anders als der Standard, den man vom Weltcup gewohnt ist. Das ganze Drumherum war deutlich aufgeblasener, es sind viel mehr Menschen vor Ort, die eigentlich mit dem Sport oder Biathlon nicht viel am Hut haben. So nimmt man das als Sportler waren.
Könnte sich Ihre Sichtweise irgendwann einmal ändern?
Dahlmeier: Ich freue mich schon wahnsinnig, die Olympischen Winterspiele mal von der anderen Seite zu beobachten. Vielleicht werde ich dann sagen, wow so ein grandioses Sportfest. Dann steigt das auch sicher wieder in meinem Ansehen. Aber als Sportler – das ist so ein Hin und Her – und der Sport steht eigentlich gar nicht richtig im Vordergrund.
Haben Sie noch Erinnerungen an Ihr letztes Rennen im Weltcup?
Dahlmeier: Ich habe schon noch Erinnerungen an Biathlonrennen, an das letzte nicht so sehr, es war nicht das allerbeste Rennen. Anders ist es mit Schalke, es war der coolste Abschluss, den man sich vorstellen konnte. Daran denke ich schon noch oft zurück.
Wie würden Sie die Zeit von Ihrem Karriereende bis jetzt beschreiben? Wie hat sich Ihr Leben verändert?
Dahlmeier: Es war ein bissel turbulent. Die ersten zwei, drei Monate habe ich versucht, Abstand vom Biathlon zu gewinnen. Dann bin ich viel gereist, habe mir die Zeit genommen für Dinge, für die man sonst wenig Zeit hat.
Und dann?
Dahlmeier: «…kam die Frage: Ok, was machst du jetzt? Ich habe dann immer gehört: Dir stehen alle Türen offen, du kannst machen, was du willst. Und das habe ich super schwierig gefunden. Weil ich wusste immer, dass ich eine erfolgreiche Biathletin werden will. Aber danach habe ich alles offen gelassen. Es war eine spannende Orientierungsphase. Es war nicht ganz klar, ob ich studieren will und ob es Sport ist. Jetzt bin ich super happy, das Leben hat wieder einen Sinn. Und ich habe jetzt nicht mehr diesen Leistungsgedanken, diesen Druck – diese Freiheit genieße ich extrem.
Was wollen Sie mit ihrem Sportstudium mal anfangen?
Dahlmeier: Ich habe festgestellt, Sport ist genau das das, was ich machen will. Was genau, wird man sehen, ich bin da relativ entspannt. Es wird sich schon das Richtige zur richtigen Zeit ergeben.
Sieht man Sie mal wieder im Biathlon?
Dahlmeier: Ich mache ja nebenbei noch den Trainerschein.
Dann werden Sie bestimmt die erste Bundestrainerin?
Dahlmeier: Nein, nein. Ich kann ausschließen, dass ich sofort als Trainerin im Biathlon-Zirkus einsteige. Aber wie heißt es so schön: Sag niemals nie.
Jetzt dominiert Corona das Leben. Auch Ihres.
Dahlmeier: Ich kann das Thema Corona sehr gut ausblenden. Bei anderen gibt es kaum ein anderes Thema, was darf man, was darf man nicht. Aber mein Leben und meinen Alltag betrifft es nicht allzu sehr. Was superschön ist, dass ich in Garmisch lebe, das ist wie im Paradies. Ich habe immer rausgehen können, in den Wald oder joggen. Das ist ganz was anderes als in der Stadt. Wenn ich jetzt die ganze Zeit in meiner kleinen Studentenbude in München gewesen wäre, wäre die Zeit um einiges härter gewesen.
Wie gehen Sie mit den Einschränkungen um?
Dahlmeier: Als Leistungssportler sind wir diese Hygieneregeln wie Händewaschen, Desinfizieren und Vermeiden von Menschenmassen schon immer gewohnt, das ist bei uns Standard. Was schon krass war, ist das mit der Ausgangssperre. Das hat schon ein paar Tage gedauert, bis ich das akzeptiert habe. Ich dachte, ist das real oder wache ich morgen auf und denke, das war alles nur ein Scherz.
Jetzt wird viel von Solidarität gesprochen. Welche Erfahrungen haben Sie da gemacht?
Dahlmeier: Ich finde es schön, den Zusammenhalt in der Bevölkerung wieder zu spüren. Auch in der Familie, man steht wieder viel mehr zueinander.
Kann die Corona-Krise auch was Positives bewirken?
Dahlmeier: Ich würde mir mehr Achtsamkeit wünschen. Am Anfang der Krise haben ja viele entschleunigt, alles war etwas ruhiger, weniger Stress, keine Termine. Ich würde mir wünschen, dass wir das mit in die Zeit danach nehmen, dass weniger manchmal mehr ist. Nicht dass es gleich wieder heißt, jeder ballert sich wieder mit Terminen voll und hetzt von einem zum nächsten.
Haben Sie neue Dinge für sich entdeckt in der Quarantäne?
Dahlmeier: Nicht unbedingt neue Dinge, sondern ich habe mir immer wieder Zeit genommen für alte Dinge, wie ein Buch lesen, für sich selbst Zeit nehmen. Diese Schönheit der Natur genießen. Und zu wissen, dass wir es daheim auch so wunderbar haben. Vielleicht muss man gar nicht erst stundenlang durch die Gegend fahren, hier haben wir auch ein Paradies.
Können Sie sich vorstellen, dass die kommende Biathlon-Saison in Zeiten von Corona eine normale wird?
Dahlmeier: Spannend wird, wie sich die Corona-Pandemie entwickelt. In Italien muss man vielleicht fragen, macht es Sinn, in so einem gebeutelten Land wirklich Wettkämpfe zu veranstalten. Oder geht man in Regionen, wo die Bevölkerungsdichte nicht so hoch ist. Macht man ein bisschen mehr in Skandinavien. Und sorgt dafür, dass die Athleten weniger reisen müssen. Aber das ist Aufgabe der IBU und der jeweiligen Länder und Regionen, die richtigen Entscheidungen zu treffen.
ZUR PERSON: Laura Dahlmeier (26) ist mit zweimal Olympia-Gold und sieben WM-Titeln eine der erfolgreichsten Biathletinnen überhaupt. Die Garmisch-Partenkirchnerin studiert ein Jahr nach ihrem frühen Karriereende in München Sportwissenschaften und macht den Trainerschein.
Fotocredits: Matthias Balk
(dpa)