Darmstadt – Beim Verbandstag des Deutschen Leichtathletik-Verbandes am Samstag in Darmstadt soll Jürgen Kessing zum neuen Präsidenten und Nachfolger von Clemens Prokop gewählt werden.
«Mein eigentliches Ziel wäre schon, die Leichtathletik als olympische Kernsportart in der öffentlichen Wahrnehmung wieder mehr in den Vordergrund rücken zu können», sagte der 60 Jahre alte Oberbürgermeister von Bietigheim-Bissingen im Interview der Deutschen Presse-Agentur. «Der Fußball stellt ja alles zu.»
Frage: Was macht für Sie den Reiz aus, den DLV anführen zu wollen?
Antwort: Ich komme aus der Leichtathletik, habe den Kontakt nie verloren und durch sie viel Positives erfahren für mein Leben. Wenn ich dieser Sportart mit der beruflichen Erfahrung und der Lebenserfahrung, die man gesammelt hat, etwas zurückgeben kann, mache ich es gern. Außerdem war ich schon Präsident eines Handball-Zweitligisten, hatte in Bietigheim-Bissingen den Einstieg zu Eishockey und den Zugang zum Spitzen-Fußball, als ich in Kaiserslautern gearbeitet habe. Das schadet sicher nicht. Und die Leichtathletik ist mir nach wie vor eine Herzensangelegenheit.
Frage: Haben Sie bereits eine Vorstellung, welche Schwerpunkte Sie als DLV-Präsident setzen wollen?
Antwort: Mein eigentliches Ziel wäre schon, die Leichtathletik als olympische Kernsportart in der öffentlichen Wahrnehmung wieder mehr in den Vordergrund rücken zu können. Der Fußball stellt ja alles zu. Da setzte ich auch Hoffnung auf die EM 2018 in Berlin. Dass die EM so ein Sommermärchen wie die Fußball-WM 2006 wird, schaffen wir vielleicht nicht. Aber dass die Wahrnehmung in der Öffentlichkeit wieder eine deutlich intensivere werden kann, hoffe ich schon.
Frage: Der bisherige Präsident Prokop bleibt Chef des EM-Organisationskomitees. Gibt es da Animositäten?
Antwort: Im Gegenteil. Wir haben keine Probleme miteinander. Und wie heißt es so schön: Im reißenden Fluss wechselt man die Pferde nicht.
Frage: Sie sind ein Seiteneinsteiger als Leichtathletik-Funktionär. Ist das ein Vor- oder ein Nachteil?
Antwort: Es schadet nicht, wenn man eine positive Grundeinstellung und eine gewisse Lebenserfahrung hat, einen unverstellten Blick von außen in so eine Organisation mitreinbringt.
Frage: Sie sind Bürgermeister einer Stadt. Können Sie den zeitintensiven Beruf und das Präsidentenamt überhaupt vereinbaren?
Antwort: Ich gehe davon aus, dass es geht. Es ist eine Frage der Organisation. Als Bürgermeister bin ich Herr über meinen Kalender und kann Termine so legen, dass es keine Konflikte mit den wichtigsten Terminen des Verbandes gibt. Die wichtigsten Termine für den DLV wird es am Wochenende geben, die des Bürgermeisters mit der Verwaltung wochentags.
Frage: Wie wichtig ist für Sie die Nähe zu den Athleten?
Antwort: Der Verband ist für die Athleten da so, wie die Athleten den Verband repräsentieren und für ihn starten. Das ist ja keine Einbahnstraße.
Frage: Die Leistungssportreform ist auf Medaillen-Maximierung ausgelegt. Der DLV sah das bisher kritisch. Wie ist Ihre Position?
Antwort: Die Äußerungen von Clemens Prokop dazu sind nicht falsch. Er hat das Richtige gesagt. Medaillen sind nicht alles. Ich erinnere mich an den 3000-Meter-Hindernislauf von Gesa Krause bei der WM in London. Dort ist sie hingefallen, ist aufgestanden und weitergerannt. Wenn man daran denkt, bekommt man heute noch eine Gänsehaut.
Frage: Ihr Vorgänger Clemens Prokop war 17 Jahre im Amt und war vor allem als Anti-Doping-Kämpfer in der Sportpolitik präsent. Werden auch Sie ein kritischer Begleiter der Sportpolitik sein?
Antwort: Klar gehört das mit zu den Aufgaben des Präsidenten.
Frage: Sie sind in der internationalen Leichtathletik ein unbeschriebenes Blatt. Wie wollen Sie sich in den Weltverband IAAF und den europäischen Verband EAA einbringen?
Antwort: Es macht keinen Sinn, zu sagen: Hoppla, jetzt komme ich. Ich werde Termine wahrnehmen und dann sehen, was strategisch das Richtige ist. Es ist eine Sache von Jahren, in der IAAF oder EAA einen Platz zu finden.
Vor einiger Zeit sind Sie alkoholisiert am Steuer in eine Polizeikontrolle geraten!
Antwort: Ich habe einen Fehler gemacht und erfahre gerade meine Strafe. Es beeinträchtigt mich aber nicht in der Wahrnehmung meiner Funktion.
Frage: „Die Stadt in guten Händen“ lautete ihr Motto bei der letzten Bürgermeisterwahl in Bietigheim-Bissingen. Wäre das auch ein Slogan für Sie gemünzt auf den DLV?
Antwort: Ich hoffe, die Menschen werden es so sagen können, wenn ich es eine Weile gemacht habe. Als Bürgermeister konnte ich es nach acht Jahren so sagen. Jetzt wären es zu viele Vorschusslorbeeren und nicht opportun.
ZUR PERSON: Jürgen Kessing (60) ist seit 2004 Oberbürgermeister von Bietigheim-Bissingen in Baden-Württemberg. Der SPD-Politiker war selbst einst Zehnkämpfer und Stabhochspringer.
Fotocredits: Jan-Philipp Strobel
(dpa)