Fontenay-le-Comte – Marcel Kittel fuhr hauchdünn am Sieg vorbei, der angefeindete Vorjahressieger Chris Froome stürzte und ein Tour-Novize siegte grandios:
Schon der Auftakt der 105. Tour de France erfüllte alle Erwartungen an Dramatik, Turbulenz und Spannung. Kittel ging mit seiner kleinen Niederlage auf Rang drei aber sehr gelassen um.
Der 30-Jährige, für den es in dieser Saison noch nicht hundertprozentig lief, verpasste seinen insgesamt 15. Etappensieg und das dritte Gelben Trikot nach 2013 und 2014. «Ich bin im Tour-Tunnel und habe wieder die guten Beine fürs Finale – das ist mir wichtig», sagte Kittel. «Minimalziel abgeliefert, aber na klar: Man kann es besser machen. Wir sollten aus dem heutigen Sprint Selbstvertrauen mitnehmen für die nächsten Tage.»
Neuling Fernando Gaviria nutzte dagegen gleich seinen ersten Auftritt in Frankreich zur großen Inszenierung. Der 23 Jahre alte Kolumbianer strahlte auf dem Siegerpodest im ersten Gelben Trikot seiner Laufbahn. Danach bekam er auch noch das Grüne für den Punktbesten übergestreift.
Für den wegen seines umstrittenen Freispruchs in der Salbutamol-Affäre angefeindete Froome hätte die Tour auf dem Weg zu seinem angestrebten fünften Triumph nicht schlechter beginnen können. 4,3 Kilometer vor dem Ziel stürze er und verletzte sich leicht an der Schulter. Der Brite, der schon bei der Team-Vorstellung gellende Pfiffe des Publikums erhalten hatte, verlor 51 Sekunden. Froome gab in Bezug auf seine Verletzung früh Entwarnung: «Es ist schlecht, so in eine Tour zu starten, aber wenigstens ist mir nichts Gravierendes passiert», sagte der Brite, der große Hoffnungen in das Mannschaftszeitfahren am Montag setzt.
Der Sky-Kapitän konnte sich nur mäßig damit trösten, dass auch die aussichtsreichen Mitbewerber um das Gelbe Trikot in Paris Zeit verloren: Der zweimalige Tourzweite Nairo Quintana büßte 1:15 Minuten ein, weil er ein mechanisches Problem hatte. Adam Yates (England) und Richie Porte (Australien) verloren wie Froome 51 Sekunden. Von Zeiteinbußen waren Vincenzo Nibali (Italien), der Lokalmatador Romain Bardet und der vor der Tour als vielleicht härtester Froome-Herausforderer gehandelte Tom Dumoulin (Niederlande) verschont geblieben.
Der erste Verlierer auf Platz zwei hieß Peter Sagan, der eine perfekte Rückkehr zur Tour verpasste. Im Vorjahr war der dreimalige Weltmeister nach der 4. Etappe in Vittel disqualifiziert worden, weil er Mark Cavendish angeblich absichtlich abgedrängt und schwer verletzt hatte. Erst Monate nach dem Vorfall war er vom Weltverband UCI rehabilitiert worden. Aber sein Chef vom Bora-hansgrohe-Team, Ralph Denk, war alles andere als verzweifelt: «Ich mache mir keine Sorgen, dass Peter nichts mehr gewinnt. Das war heute mehr etwas für die puren Sprinter.»
John Degenkolb, der im Frühjahr nach seiner Schleimbeutel-Verletzung im Knie dreieinhalb Wochen pausieren musste, war auf Rang acht mit seinem Auftakt einigermaßen zufrieden. «Wir haben einen ganz guten Job gemacht. Als der Sprint losging, war ich in einer guten Position, aber ich konnte den Punch nicht mitgehen», sagte der Klassikerjäger, der bei seiner sechsten Tourteilnahme endlich den ersten Tagessieg «abschießen» will.
Die Tour startete vor der Bilderbuch-Kulisse der Atlantikinsel Noirmoutier in Westfrankreich. Direkt nach dem Start hatten sich die Franzosen Kevin Ledanois, Yoann Offredo und Jerome Cousin abgesetzt, die sich aber nicht durchsetzen konnten und im rasenden Finale gestellt wurden. Wegen des WM-Viertelfinales der Fußballer endete die erste Tour-Etappe untypisch früh.
120 Kilometer fuhren die 176 Starter bei strahlendem Sonnenschein entlang der Atlantik-Traumstrände. Im Ziel wurde es dann aber unangenehmer für die Profis: Der Boulevard Duguesclin war eng und winklig, am Ende war ein kleiner, 300 Meter langer Anstieg zu bewältigen. Für Gaviria, von seinem Team im Finale perfekt in Szene gesetzt, ein Traumfinale.
«Das Gelbe Trikot möchte jeder auf der Welt tragen, und ich habe es gleich am ersten Tag meiner Tour-Teilnahme erobert. Vielleicht werde ich es nicht allzu lange behalten. Aber ich werde versuchen, es möglichst lange tragen zu können», sagte der kolumbianische Neuling der ARD.
Fotocredits: David Stockman
(dpa)