Singapur – Elegant zurechtgemacht durfte Angelique Kerber bei der Auslosung für die WTA Finals als Letzte die Bühne betreten. Im schicken weiß-schwarzen Kleid nahm die Nummer eins lächelnd den zentralen Platz in der ersten Reihe der besten Tennisspielerinnen der Saison ein.
Nach der Absage von Serena Williams hat die zurückhaltende Norddeutsche in Singapur mehr denn je die Hauptrolle inne. Gerade auf dem Platz will die 28-Jährige ihr neues Selbstverständnis demonstrieren, wenn die Crème de la Crème von Sonntag an ihre Weltmeisterin ausspielt.
Geht es nach den Statistiken der Saison, führt kein Weg an ihr vorbei. Kerber hat am meisten Partien gewonnen. Sie hat sich in drei Grand-Slam-Endspiele gekämpft, als Einzige zweimal bei den großen Turnieren triumphiert. Und es würde so märchenhaft in Kerbers außergewöhnliche Geschichte passen, wenn sie ihren Status als Beste bestätigt und ihr Tennis-Jahr mit ihrem dritten großen Titel krönt.
«Das gute Gefühl möchte ich mit ins Turnier nehmen und einen gebührenden Saisonabschluss hinlegen», sagte die 28-Jährige der Deutschen Presse-Agentur. «Meine Motivation ist da, wo sie vor so einem Highlight sein sollte.»
Die Auslosung vor etlichen Schaulustigen in einem Luxus-Einkaufszentrum verlief jedoch nicht besonders günstig für sie. In der Roten Gruppe trifft die Topgesetzte auf die rumänische Spitzenspielerin Simona Halep, Madison Keys aus den USA und die formstarke Slowakin Dominika Cibulkova. «Es ist egal, gegen wen ich spiele. Ich weiß, ich muss alles geben, und in jedem Match alle Energie rausholen, die ich noch habe», urteilte Kerber.
In der Weißen Gruppe spielen Vorjahressiegerin Agnieszka Radwanska, US-Open-Finalistin Karolina Pliskova, French-Open-Gewinnerin Garbiñe Muguruza und eine achte Teilnehmerin um den Einzug ins Halbfinale. Ob Johanna Konta oder Swetlana Kusnezowa den letzten freien Platz in dem Feld einnehmen, stand noch nicht fest. So standen bei der Zeremonie auch nur sieben statt acht Stühle auf der Bühne, die auf einer mit Teppich belegten Eisfläche aufgebaut war.
Kerbers erwarteter Zweikampf mit der langjährigen Ausnahmekönnerin Serena Williams fällt beim Stelldichein aus. Die Amerikanerin musste wegen einer Schulterblessur passen. Der Rückschlag für die Powerfrau nahm Kerber die Sorge, Platz eins in diesem Jahr noch zu verlieren.
«Sie wird damit für eine absolute Top-Saison belohnt. So ist sie vielleicht noch entspannter», erklärte Fed-Cup-Teamchefin Barbara Rittner. Für das mit sieben Millionen Dollar dotierte Event sieht die Bundestrainerin ihren Schützling allerdings nicht als klare Favoritin. «Sie ist müde. Was jetzt noch kommt, ist absoluter Bonus.»
Dreimal war Kerber bei den WTA Finals schon dabei. 2012, 2013 und 2015 endeten ihre Auftritte jeweils nach der Gruppenphase. Dennoch verbindet die Linkshänderin etwas Besonderes mit der WM.
Vor zwölf Monaten nahm für die früher oft mental schwächelnde Schleswig-Holsteinerin in Singapur alles ihren Anfang. Eine bittere Pleite war der Ausgangspunkt für ihren Coup bei den Australian Open, für ihren Triumph bei den US Open, für ihren Sprung zur Nummer eins. Für den Finaleinzug in Wimbledon und Olympia-Silber.
Gegen die Tschechin Lucie Safarova hatte Kerber damals nur einen Satzgewinn benötigt, um unter die besten Vier einzuziehen – doch sie scheiterte. Nie wieder werde ihr der Druck im Wege stehen, schwor sie sich anschließend. Sie nahm sich vor, bei den vier Majors besser zu spielen und setzte ihre Ziele prompt eindrucksvoll um.
Nun findet sich die Linkshänderin auf dem Platz langsam in die Rolle als Gejagte ein, gegen die die Kontrahentinnen immer einen Extrakick Motivation verspüren. Auf der Asien-Tour plagte sie sich allerdings mit Problemen am Oberschenkel und an der Schulter. Die Müdigkeit erschöpfender Tennis-Monate machten sich bemerkbar. «Mein Ziel ist es jetzt, für die WTA Finals die letzten Kräfte zu mobilisieren und nochmal alles zu geben», sagte Kerber.
An die mögliche historische Dimension ihrer vierten WM-Teilnahme verschwendet die zweifache Grand-Slam-Siegerin keine Gedanken. Sie weiß, dass die Erwartungen hoch sind. Die letzte deutsche Gewinnerin hieß 1996 Steffi Graf. Fünf Partien trennen Kerber nun noch davon, einmal mehr in die Fußstapfen der Sportikone zu treten. In jedem Fall wartet nach dem letzten Auftritt in Singapur der verdiente Urlaub.
Fotocredits: Wallace Woon
(dpa)