Melbourne – Im herbstlichen Melbourne schraubt die Formel 1 am Neuanfang. Zwischen Transportkisten und Gabelstaplern setzte die Meute um Ferrari-Pilot Sebastian Vettel im windigen Albert Park die letzten Puzzleteile für den geplanten Umsturz zusammen.
Dank der größten Regelreform seit Jahren soll schon beim Saisonauftakt am Wochenende die Herrschaft des Mercedes-Teams enden, das sich durch den Schock-Abschied von Weltmeister Nico Rosberg im Winter neu sortieren musste. «Wir sind insgesamt besser aufgestellt als im Vorjahr. In Melbourne können wir dafür den Beweis liefern», sagt Vettel vor dem ersten der 20 Grand Prix dieses WM-Jahres.
Doch die Silberpfeile wollen den Platz an der Spitze nicht so einfach räumen. Vor allem Lewis Hamilton hat die Wut über die Niederlage gegen seinen Teamrivalen Rosberg im Vorjahr zusätzlich angestachelt. Mit Thai-Boxen stählte sich der Brite für seinen nächsten Anlauf auf den vierten WM-Titel und die Herausforderung der neuen Autos, die schneller und schwerer beherrschbar sind. «Ich bin fitter, ich arbeite härter als je zuvor und bin total fokussiert und ehrgeizig nach diesem letzten Jahr», versichert Hamilton.
Zugleich muss der 32-Jährige seine Extraklasse gegen einen neuen Kollegen beweisen: Rosberg-Ersatz Valtteri Bottas. Mit viel Geld und Überredungskunst eiste die Mercedes-Führung den Finnen bei Williams los. «Vielleicht ist ja etwas nicht richtig bei mir, aber ich fühle überhaupt keinen Druck oder Angst», sagt Bottas vor dem Renn-Debüt für seinen neuen Arbeitgeber. Der 27-Jährige soll Hamilton ähnlich wie Rosberg täglich fordern und zu Höchstleistungen treiben.
Nach 51 Siegen in den vergangenen 59 Rennen liegt die Messlatte für die Silberpfeile enorm hoch. Seit 2014 hat Mercedes stets den Saisonauftakt gewonnen. «Aber bislang hat noch kein Team seine Erfolgsserie nach einer so großen Regeländerung fortgesetzt», warnt Teamchef Toto Wolff. Genau darauf setzen die Jäger.
Bei den Wintertests nährte besonders Ferrari mit Bestzeiten und großer Zuverlässigkeit die Hoffnung auf mehr Abwechslung in der neuen Saison. Red Bull mit Jungstar Max Verstappen zeigte wohl noch nicht seine wahre Stärke, will aber spätestens im zweiten Saisondrittel auf Augenhöhe mit Mercedes sein. «Testen ist das eine, Rennen etwas ganz anderes», meint Vierfach-Champion Vettel. Tatsächlich drehte die Scuderia auch im Vorjahr die schnellsten Testrunden, ehe dann kein einziger Grand-Prix-Sieg gelang.
Die Reise nach Melbourne lief für Vettel schon mal nicht nach Plan. Der Hesse verpasste seinen Anschlussflug in Dubai und kam verspätet in Australien an. Immerhin blieb genug Zeit zur Namensfindung für seinen neuen Dienstwagen. «Gina» heißt Vettels SF70H nun, wie immer hatten die Mechaniker bei der Wahl des Kosenamens Mitspracherecht.
Wenn am Sonntag nach 119 Tagen die Rennpause endet, muss «Gina» zeigen, was in ihr steckt. Die Formel 1 sehnt sich nach dem Eigentümerwechsel und der Entmachtung des langjährigen Geschäftsführers Bernie Ecclestone nach mehr Spektakel und mehr Spannung. Der neue Besitzer Liberty Media will die Rennserie wieder attraktiver für die Fans machen und besser vermarkten. Dabei wäre ein enges WM-Rennen der Großmächte Mercedes, Ferrari und Red Bull höchst willkommen.
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(dpa)