Leipzig – Nach seinem beeindruckenden Startelf-Debüt bei Joachim Löw blieb Kai Havertz in der Deckung. Wie ein Boxer zog das 19-jährige Talent die Kapuze seiner dunklen DFB-Jacke tief ins Gesicht: Nur keine überschwänglichen Gefühle zeigen.
Seine Eltern hätten ihm vermittelt, «dass Arroganz oder Hochnäsigkeit nun wirklich nichts Erstrebenswertes» seien, hatte Havertz schon vor der Start seiner Nationalmannschafts-Karriere im Sommer verraten. Nach einem 3:0 gegen Russland, das der junge Offensivspieler von Bayer Leverkusen wesentlich mitprägen konnte, sagte Havertz dann genauso zurückhaltend: «Auf so einer Leistung lässt sich aufbauen.»
Mesut Özil als langjähriger Spielmacher der DFB-Elf ist mit viel Wirbel zurückgetreten, Marco Reus als erster Zehner-Kandidat bei Löw derzeit verletzt – die Chance nutzte der Youngster in der Red Bull Arena konsequent. «Ich hatte ein ganz gutes Gefühl auf dem Platz, war gut ins Spiel eingebunden, hatte viele Bälle. Klar: Ein bisschen Luft ist immer noch nach oben. Aber ich kann ganz zufrieden sein», kommentierte Havertz seine eigene Leistung zurückhaltend. Das 3:0 von Serge Gnabry bereitete er mit einem Zuckerpass vor.
In 65 Bundesligaspielen hat es der gebürtige Aachener bei Bayer schon auf bemerkenswerte 17 Tor-Vorlagen gebracht, dazu traf er zehnmal selbst. Und auch in Champions League und Europa League hinterließ er erste Spuren. «Ich mag es einfach, den Mitspielern Vorlagen zu geben und sie glänzen zu lassen», erklärte Havertz.
Der Bundestrainer klang in Leipzig wesentlich euphorischer: «Für 19 Jahre ist er sehr weit, weil er eine gute Ballbehandlung hat und eine gute Übersicht», sagte Löw und eröffnete seinem Juwel gleich mal die besten Perspektiven: «Natürlich kann man sich gut vorstellen, dass er eine Schlüsselrolle einnimmt.»
Auch seine Kollegen in der deutschen Fußball-Nationalmannschaft konnte Havertz mit zwei Einsatzminuten beim ersten Länderspiel gegen Peru und jetzt 65 gegen Russland bereits überzeugen. «Er hat ein überragendes Spiel gemacht», attestierte Joshua Kimmich seinem neuen Mitspieler: «Er hat ein brutales Gefühl für den Raum. Zusammen mit Serge hat er immer gut kombiniert. Kai hat eine super Ballkontrolle, tolle Übersicht. Ich hoffe, dass er noch sehr viele Spiele für uns machen wird.» Ob Havertz auch «einer für die Bayern» wäre, wollte sogar ein Reporter wissen. Dem Münchner Kimmich blieb nach Havertz‘ starkem Auftritt gar nichts anderes übrig, als das zu bejahen.
Als Elfjähriger kam Havertz von Aachen nach Leverkusen. Seit der B-Jugend bei Bayer durchlief der 1,88 Meter große Spieler auch alle Auswahlteams des Verbandes. Die Fritz-Walter-Medaille markierte ihn als eines der größten Talente des Landes. 2017 bekam Havertz seinen ersten Profivertrag, legte aber auch sein Abitur ab. «Ich habe schon im Training gesehen, dass er ein Spieler ist, der eine gute Orientierung hat, wo ist der Ball, wo ist der Mitspieler, wo ist der Gegenspieler?», berichtete Löw. «Wenn er den Ball bekommt, hat er immer die erste Idee, ich nehme den Ball nach vorne mit.»
Bei Havertz ist nun die Lust geweckt an seiner neuen Rolle beim ehemaligen Weltmeister-Coach Löw: «Ja klar. Ich spiele auch im Verein lieber auf der Zehn.» Mit «breiter Brust» will der Shootingstar gemeinsam mit seinen jungen Kollegen die nächste reizvolle Aufgabe am Montag in der Nations League gegen Holland angehen. Mit Havertz wieder in der Startelf? «Das entscheide ich leider nicht», sagte der Leverkusener und lächelte doch noch unter seiner Kapuze.
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(dpa)