Rio de Janeiro (dpa) – Spätestens als ihm Queen Elisabeth vor einem Jahr im schottischen Blair Castle persönlich zum EM-Titel gratulierte, war dem letzten im Mutterland der Vielseitigkeit klar, dass dieser Reiter aus Germany kaum zu schlagen ist.
Michael Jung hat in den vergangenen die Szene auf den Kopf gestellt und sie so beherrscht wie kaum jemand zuvor. In Rio kann er nun als erster Reiter zum zweiten Mal olympisches Doppel-Gold in der Vielseitigkeit holen.
In den vergangenen sechs Jahren hat der 34 Jahre alte Reiter die erfolgsverwöhnten Briten das Fürchten gelehrt und dabei jede Menge Rekorde aufgestellt. So war niemand vor ihm gleichzeitig Europa- und Weltmeister sowie Olympiasieger.
Zu seiner herausgehobenen Favoritenrolle in Rio sagt Jung ganz lässig: «Ja, das ist so.» Der Reiter von der schwäbischen Alb macht sich deshalb keinen Stress: «Auch als Zweiter hätte ich nicht Gold verloren, sondern Silber gewonnen.» Und: «Ich will immer gewinnen, aber das Pferd gibt es vor.» Wer den zweimaligen Gold-Gewinner von London ein bisschen länger kennt, nimmt ihm diese Lockerheit ab.
Dass sein für Rio vorgesehenes Pferd Takinou krankheitsbedingt durch Sam ersetzt werden musste, dürfte kein Nachteil sein. Seit der WM 2010 gewann Jung bei EM, WM oder Olympia mindestens eine Goldmedaille, meistens sogar zwei – und das mit vier verschiedenen Pferden.
Kein Wunder, dass sie in Großbritannien witzeln, Jung könne man auch rückwärts aufs Pferd setzen und er würde trotzdem gewinnen. Dass er vor einem knappen Jahr sogar mit einem gebrochenen Knöchel beim britischen EM-Heimspiel in Blair Castle Doppel-Gold gewann, das hat den Respekt nur noch einmal wachsen lassen. Als ihm die englische Königin damals gratulierte, wusste niemand etwas von der Verletzung. Diese stellte sich erst bei der Untersuchung nach der EM heraus.
In seiner Heimat ist Jung nicht so bekannt wie auf der Insel. Dabei ist er derzeit Deutschlands erfolgreichster Sportler. Doch ein Star ist er nicht, sondern den meisten Sportfans wohl eher unbekannt – trotz der fast schon unheimlichen Serie von Erfolgen, die er seit dem Einzelsieg bei der WM 2010 in Kentucky hingelegt hat. Dass er kein deutscher Sportheld ist, stört ihn aber nicht weiter.
Er findet das «ganz normal», antwortet der Reiter auf entsprechende Fragen. Reiten ist halt keine Top-Sportart. Und die Vielseitigkeit – dieser komplizierte Dreikampf mit den drei Teil-Disziplinen Dressur, Geländeritt und Springen – fristet in der Öffentlichkeit eher ein Nischendasein.
Der bodenständige Jung würde sich auch wohl auch kaum zum Sporthelden eignen. Immerhin hat der Reiter mit Fischer inzwischen einen starken Sponsor, der Geld für Pferde spendiert. Auch deshalb ist seine Auswahl an von ihm selbst ausgebildeten Weltklasse-Vierbeinern so beeindruckend. Zuletzt sicherte sich Jung als zweiter Reiter überhaupt den Grand Slam durch Siege bei den Klassikern im britischen Burghley, im amerikanischen Lexington und in Badminton. Und Erster der Weltrangliste ist er natürlich auch noch.
Wer also soll diesen zurückhaltenden Schwaben, der auf seinen Pferden selbst die schwierigsten Strecken mit einer scheinbaren Leichtigkeit bezwingt, in Rio schlagen? Bundestrainer Hans Melzer sieht in seinem Quartett auch andere, «denen man eine Medaille zutrauen kann».
Die schärfste Konkurrenz kommt auch in Rio aus dem eigenen Team. Vor allem von Sandra Auffarth mit Opgun Louvo. Die Doppel-Weltmeisterin aus Ganderkesee ist die einzige, die zuletzt den Jungschen Siegeszug ein wenig bremsen und ihn bei der WM 2014 in Caen im Einzel auf Platz zwei verweisen konnte.
Fotocredits: Friso Gentsch