Rio de Janeiro – Bloß keine falsche Bescheidenheit! Die größte Fahne im Olympischen Dorf flattert von den Balkonen der russischen Mannschaft. Die Trikolore in den Farben weiß, blau und rot ragt über drei Stockwerke.
«Die Stimmung ist gut. Wir hoffen, dass es nicht das letzte Mal war, dass die russische Fahne bei Olympia gehisst wird», scherzte Alexander Schukow, der Präsident des Russischen Olympischen Komitees (ROC).
Die Befürchtung muss er nicht haben. Auch ohne die frühere Welt-Leichtathletin Jelena Issinbajewa oder Tennis-Beauty Maria Scharapowa ist das derzeit 271 Athleten große Team der Sbornaja für eine Vielzahl an Medaillen gut. Und nach der positiven CAS-Entscheidung vom Donnerstag könnte das Team mit bis zu neun weiteren Athleten noch verstärkt werden.
«Jetzt erst recht», heißt die Devise im Team, das von Volleyball-Legende Sergej Tetjuchin als Fahnenträger angeführt wird. Der 40-Jährige will bei seiner fünften Teilnahme die russischen Volleyballer wie in London als Kapitän zu Gold führen. «Zeigt ihnen, was ihr könnt», hatte die gesperrte Issinbajewa den Kollegen bereits vor dem Rio-Trip zugerufen.
In der englischen Hauptstadt hatte die Olympia-Mannschaft aus Wladimir Putins Reich insgesamt 24 Gold-, 25 Silber und 32 Bronzemedaillen geholt. Ob diese Ausbeute ohne die Leichtathleten und Gewichtheber übertroffen werden kann, bleibt fraglich. Einige Medaillenkandidaten sind aber sicher dabei, wie etwa in der Rhythmischen Sportgymnastik, einer russischen Domäne. Seit den Sommerspielen in Sydney 2000 sind alle Goldmedaillen an die russischen Mädchen gegangen. Auch diesmal scheinen Jana Kudrjawzewa und Margarita Mamun in der Einzelwertung konkurrenzlos zu sein.
Für das erste Gold könnte gleich am Samstag Bogenschützin Ksenia Perowa sorgen, die als Weltmeisterin zum Favoritenkreis zählt. Danach könnte die russische Hymne schon bald auf der Planche im Fechten erklingen. Bei der Heim-WM 2015 in Moskau war das Team mit jeweils viermal Gold und Silber sowie einmal Bronze stärkste Nation.
Da der Weltverband vom russischen Oligarchen Alischer Usmanow angeführt wird, war die Startberechtigung der gesamten Mannschaft quasi Ehrensache. In Rio sollen die Weltmeister Inna Deriglasowa (Florett) sowie Sofja Welikaja und Alexej Jakimenko (beide Säbel) an die Erfolge anknüpfen.
Staatschef Putin ist in Brasilien nicht vor Ort, wird aber als früherer Judoka in «seiner Sportart» genau hinschauen. Womöglich beschert ihm London-Olympiasieger Tagir Chaybulajew erneut einen russischen Sieg. Gold haben auch die Teamsprinterinnen Anastassija Woinowa und Darja Schmeljowa im Bahnradsport auf der Rechnung. Schon bei der WM in London im März dieses Jahres hatten sie die «Golden Girls» von Olympia, Kristina Vogel und Miriam Welte, hinter sich gelassen.
Ansonsten dürfte die Bilanz im Radsport nicht so gut ausfallen, im Schwimmen soll es dagegen einige Medaillen geben. Bei der Heim-WM in Kasan war das russische Team mit neunmal Gold die drittstärkste Nation. Wie sauber die Leistungen waren, sind nach den jüngsten Dopingberichten aber fraglich.
Dazu ist die Teilnahme von Weltmeisterin Julija Jefimowa weiter in der Schwebe ist. Die 24-Jährige ist die Glamourfrau der russischen Schwimmer, trainiert in Kalifornien beim umstrittenen US-Trainer Dave Salo. Sie war schon einmal wegen Dopings gesperrt. Der Weltverband FINA verhängte statt der üblichen Zweijahressperre nur 16 Monate. Brustschwimmerin Jefimowa konnte vor heimischen Publikum WM-Gold gewinnen.
Glamour bringt auch die einzige russische Leichtathletin mit. Weitspringerin Darja Klischina gilt als heiße Anwärterin auf den Titel «Miss Olympia». Auch sportlich macht sie große Sprünge, wurde bereits zweimal Hallen-Europameisterin. So hat das russische Team in vierlerlei Hinsicht einiges zu bieten.
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(dpa)