London – Viererpacker Serge Gnabry schnappte sich nach alter englischer Tradition sofort den Ball. Nur für den wilden Tanz vor der Fankurve mit den Kollegen legte er das Spielgerät noch einmal aus der Hand.
Das Lächeln wollte allen Münchnern nach dieser Offensiv-Demonstration nicht aus den Gesichtern weichen. Der FC Bayern hat die erste große Prüfung auf Europas Fußball-Bühne grandios bestanden. In einem hochklassigen Offensiv-Spektakel triumphierte der deutsche Meister am Dienstagabend gegen den Vorjahresfinalisten Tottenham Hotspur mit 7:2 (2:1) und nimmt nach zwei Erfolgen Kurs auf den Gruppensieg in der Champions League.
Juniorchef Joshua Kimmich (15. Minute), Torjäger Robert Lewandowski (45./87.) und Gnabry mit seinen ersten Champions-League-Toren (53./55./83./88.) sorgten für einen großen Bayern-Abend, der ein Signal an die Konkurrenz war. Gnabry gelang als erst zweitem deutschen Stürmer nach Mario Gomez ein Viererpack in der Königsklasse. «Serge hat heute eine Sternstunde erlebt», sagte Trainer Niko Kovac.
«Ich denke, wir haben eine super Performance geleistet. So kommt auch so ein Ergebnis zustande. Dass ich vier Tore mache, hätte ich mir auch nicht träumen lassen», sagte der ehemalige Arsenal-Profi bei DAZN. Wenig später berichtete er bei Sky von einer speziellen familiären Motivation: «Der Druck hat geholfen. Papa hat gesagt, dass ich gut spielen muss.»
Ein entscheidender Rückhalt war Nationaltorhüter Manuel Neuer, der nur vom ehemaligen Bundesliga-Profis Heung-Min Son (12.) und Harry Kane per Foulelfmeter (60.) zu bezwingen war. «Wir hatten gedacht, dass es ein enges Spiel wird. Aber wir sind froh, dass es so zu Ende gegangen ist», sagte Neuer. Im Gegensatz zum 3:2 in Paderborn ließen die Münchner diesmal kaum Chancen aus. «Wir haben schon gesagt, wir haben uns das aufgehoben», meinte Neuer.
Defensiv ließen die Münchner noch zu viel zu, offensiv bestach das Team durch Entschlossenheit und individuelle Klasse. Der Vorsprung auf den großen Gruppenrivalen Tottenham beträgt schon fünf Punkte. «Das hat sich keiner erträumen lassen», sagte Kovac. «Das war schon toll anzusehen.» Aber: «Wir müssen bescheiden bleiben. Wir werden nicht an der Uhr drehen.»
Im Londoner Regen demonstrierten beide Mannschaften vor 62.062 Zuschauern im neuen Fußball-Tempel der Spurs sofort, dass sie ihre offensiven Stärken energisch ausspielen wollen. Gnabry (2.) prüfte nach einem Stolperer von Toby Alderweireld Spurs-Torwart Hugo Lloris. Kurz darauf bot sich für Son (5.) die erste große Chance. Nach einem Traumpass von Tanguy Ndombelé reagierte Bayern-Schlussmann Manuel Neuer großartig.
Kurz darauf erwies sich die Entscheidung von Trainer Niko Kovac, statt auf Thiago auf Corentin Tolisso auf der Sechserposition neben Kimmich zu setzen, als kontraproduktiv. Der Franzose leistete sich einen schlimmen Fehlpass. Son, der Mann der Anfangsphase, ließ Neuer diesmal mit einem Flachschuss keine Chance.
Doch dann gab Kimmich die sportliche Antwort auf die Aufforderung der Bayern-Chefetage an ihn, mit gutem Beispiel, sinnbildlich «mit der Fahne in der Hand» (Karl-Heinz Rummenigge) voran zu gehen. Einen von ihm selbst eingeleiteten Angriff schloss der Nationalspieler mit einem sehenswerten Schuss ins linke Eck zum Ausgleich, seinem achten Tor in der Champions League, ab.
Der Gleichstand hatte aber vorerst keine beruhigende Wirkung auf das Bayern-Spiel. Defensiv bekamen die Münchner noch keinen Zugriff. Ndombelé und Moussa Sissoko drückten das Geschehen mit Dampf aus dem Mittelfeld vor das Gästetor. Als Harry Kane (18.) Neuer schon umkurvt hatte, klärte Rückkehrer David Alaba noch vor der Linie. Neuer (25.) war erneut starker Rückhalt bei einem Schuss von Ndombelé.
Erst nach mehr als einer halben Stunde gewannen die Münchner größere Kontrolle über das Spiel. Die Pausenführung entsprang einer Willensleistung von Lewandowski. Nach einer Drehung um die eigene Achse schoss er flach ein.
Da es bei Alaba mit Rippenschmerzen nicht weiterging, kam Thiago doch noch und Kovac baute gleich auf drei Positionen um. Gnabry sorgte mit seinem furiosen Doppelpack innerhalb von zwei Minuten für klare Verhältnisse. Erst traf der frühere Arsenal-Profi nach tollem Solo mit rechts, dann gleich darauf mit links zu seinen ersten beiden Toren in der Königsklasse.
70 Prozent Ballbesitz für die Bayern wiesen die Statistiken nun aus. Nach einem Foul von Kingsley Coman an Danny Rose verkürzte Kane per Strafstoß. Bei den Bayern musste Jérôme Boateng (70.) angeschlagen raus. Eine Schlussoffensive der Engländer gab es ohnehin nicht. Gnabry und Lewandowski schraubten das Ergebnis eiskalt in die Höhe.
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(dpa)