London – Sie war das Golden Girl des deutschen Behindertensports, doch das schwarz-rot-goldene Trikot wird Vanessa Low nie wieder tragen. Dass die 27-Jährige künftig im australischen Dress an Para-Wettbewerben teilnehmen wird, dürfte so manchen schwermütig machen.
Und auch für Low ist es zumindest ungewohnt. «Aber es ist gut, wenn man einen kleinen Freund hat», sagt sie im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur lachend: «So passen mir seine Sachen, und ich habe so manches schon mal anprobiert.»
Dieser Freund, Scott Reardon, ist auch der Grund, warum Low dem Deutschen Behindertensportverband (DBS) den Rücken kehrt. Zwangsläufig. Denn nach ihrem Gold-Sprung bei den Paralympics 2016 zog die Holsteinerin nach Canberra zu Sprinter Reardon. Dieser ist übrigens auch Paralympicssieger, besiegte im Finale von Rio Titelverteidiger Heinrich Popow. Low hat den australischen Pass beantragt und wird, sobald sie diesen hat, auch für Australien starten.
Friedhelm Julius Beucher, der Präsident des Deutschen Behindertensportverbandes (DBS), bedauert die Entscheidung sehr, denn die hübsche Blondine «war eines unserer Aushängeschilder. Aber man muss auch erkennen: Ihr blieb gar nichts anderes übrig.»
Denn nachdem Low entschieden hatte, weiter Sport zu treiben, war klar, dass sie dies unter australischer Flagge würde tun müssen. «Ich hätte dort sonst kaum Trainingsmöglichkeiten», sagt Low, die als 15-Jährige im Gedränge vor einen Zug gestoßen wurde und dabei beide Beine verlor: «Es wäre schwierig geworden, an deutschen Meisterschaften teilzunehmen, um sich überhaupt für große Wettbewerbe zu qualifizieren. Und dann hätte ich mich auch immer zerrissen gefühlt, hätte zu keinem Team so richtig gehört.»
Das ist ein Gefühl, dass sie kennt. Denn in den vergangenen vier Jahren trainierte sie wegen ihres Trainers schon in den USA. Die Australien-Pläne lagen zudem schon lange in der Schublade. So war es ein ständiges Leben zwischen den Welten, ein schleichender Prozess und ein Abschied auf Raten. Deshalb will Low auch keine allzu große Sache daraus machen. «Ich bin in Deutschland aufgewachsen und möchte den deutschen Pass auf keinen Fall abgeben», sagt Low: «Ich bin auch froh, dass der Präsident mir den Schritt nicht übel genommen hat. Aber im Endeffekt ist man doch als Athlet auch nur eine Nummer. Meinen Platz wird jemand anders einnehmen. Und für die Paralympics 2020 kommen so viele junge Talente nach, dass sie den Verlust meiner beiden Medaillen verkraften können.»
Insgesamt elf gewann Low für Deutschland bei Welt- und Europameisterschaften sowie Paralympics, davon vier goldene. Im Weitsprung sind ihre 4,93 Meter aus Rio sind immer noch Weltrekord. 2020 will sie dann in ihrer Spezialdisziplin und über 100 Meter für Australien Medaillen holen. «Das ist mein Ziel», sagt sie: «Und ich denke, es wird ein schöner Tag, wenn ich das Trikot zum ersten Mal in einem Wettkampf tragen darf.» Denn endlich wird sie sich wieder voll einem Team zugehörig fühlen und für das Land starten, in dem sie auch lebt und trainiert.
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(dpa)