Berlin – Mit dem seltsamsten Spieltag ihrer Geschichte ist die Bundesliga in die heikle Suche nach dem Geister-Meister gestartet. Gespenstisch leere Stadien, Masken-Paraden und Torjubel meist mit Abstand – die neue Normalität stellt die Entertainment-Bude Profifußball auf eine harte Probe.
Die in der ganzen Sportwelt beäugte Rückkehr auf Bewährung ist vorerst fast unfallfrei gelungen, schon keimt die Hoffnung auf mehr Freiheiten für die zuletzt heftig kritisierte Branche. «Wenn wir jetzt beweisen, dass dieses Konzept trägt, wird auch die Zustimmungsrate in einigen Wochen eine ganz andere sein», sagte Borussia Dortmunds Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke.
Die grauen Ränge im Dortmunder Fußball-Tempel beim 4:0 im Revierderby gegen den FC Schalke 04 und der brave Einzel-Jubel von Erling Haaland, der das erste Tor in der Bundesliga nach der Corona-Pause erzielte, waren Sinnbilder für den Re-Start. «Unter dem Strich ist das Experiment gelungen», befand Bayerns Ministerpräsident Markus Söder im «Doppelpass» von Sport1. Der CSU-Chef erlebte den Wiederbeginn sogar «viel besser als gedacht».
Die positiven Reaktionen dürfen aber aus Sicht von Karl-Heinz Rummenigge keinesfalls zu Entspannung führen, stattdessen forderte der Vorstandschef des FC Bayern die Branche zu weiterer Vorsicht auf. «Es ist wichtig, dass wir damit zufrieden sind, aber jetzt nicht locker lassen», sagte Rummenigge bei Sky vor dem 2:0 der Münchner beim 1. FC Union Berlin am Sonntagabend. Man müsse auch in der Zukunft «diszipliniert» mit den Vorgaben der Entscheider umgehen.
Und kaum rollte der Ball wieder, gab es die erhofften erste Signale aus der Politik für weitere Lockerungen. «Nach der Sommerpause müssen wir klären, ob Stadion auch mit weniger Abstand geht, weil die Infektionsrate so niedrig ist und es eine Kontaktnachverfolgungs-App gibt, falls doch ein Infizierter dort war», sagte Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) der «Bild am Sonntag». Auch sein sächsischer Amtskollege Michael Kretschmer (CDU) hält den begrenzten Besuch von Fußballspielen ab 1. September für möglich. «Dann sind zwar die Stadien nicht ausverkauft, aber es gibt wieder Spiele vor Publikum.»
Dafür aber sollten sich künftig auch wirklich alle Hauptdarsteller an die Bewährungsauflagen halten. Kritik zogen schon wieder die Hertha-Profis auf sich, die ihre Tore beim 3:0 bei der TSG 1899 Hoffenheim innig gemeinsam bejubelten. «Wir sollten die Kirche im Dorf lassen. Wir sind alle getestet worden und umarmen uns nur selber und nicht den Gegner», sagte Berlins neuer Trainer Bruno Labbadia.
Doch bei der Hertha hätten sie es besser wissen können. Hatte doch das Skandalvideo, auf dem Torjäger Salomon Kalou in der Berliner Kabine feixend Verstöße gegen Hygiene- und Abstandsgebote gefilmt hatte, sogar den Liga-Neustart gefährdet. Die Deutsche Fußball Liga hatte den Profis in einem «Organisations-Rundschreiben Sonderspielbetrieb» geraten, auf den gemeinsamen Jubel zu verzichten. Kurzer Ellenbogen- oder Fußkontakt, wie ihn viele Torschützen zeigten, ist indes erlaubt.
Bayerns Ministerpräsident Söder kündigte schon an: «Die Liga wird noch nachschärfen, da bin ich mir recht sicher. Der Fußball hat eine extreme Vorbildfunktion in jeder Beziehung.» Auch der Gladbacher Marcus Thuram bejubelte sein Tor in Frankfurt Wange an Wange mit Teamkollege Ramy Bensebaini.
Der neue Augsburger Trainer Heiko Herrlich hatte schon kurz vor dem Neustart durch seinen Supermarkt-Einkauf während der Team-Quarantäne einen peinlichen Fauxpas begangen. Er verfolgte das 1:2 gegen Wolfsburg nur aus einer Stadion-Loge und nicht von der Bank.
Trotz allem aber war die Bundesliga froh, 66 Tage nach der bis dahin letzten Aufführung überhaupt wieder den Spielbetrieb aufnehmen zu dürfen. «Heute ist ein historischer Tag, da guckt die ganze Welt, die ganze Sportwelt drauf», sagte Eintracht Frankfurts Sportvorstand Fredi Bobic. Und der als durchaus kritischer Geist bekannte Freiburger Trainer Christian Streich beteuerte: «Für mich ist es eines der erfreulichsten Spiele, die ich bis jetzt hatte in der Bundesliga, auch unter eigenartigen Umständen.»
Der 54-Jährige sagte dies durch einen Mundschutz in ein mit Plastikfolie umhülltes Sky-Mikrofon, das ihm an einem langen Stab vorgehalten wurde. Abstand halten, Hygieneregeln beachten – das war das Gebot für alle Beteiligten zum Wiederanpfiff. Das hieß auch: Anreise in möglichst kleinen Gruppen und Fiebermessen am Stadion-Eingang. Weil es auf den Ersatzbänken zu eng geworden wäre, saßen Profis, Betreuer und Funktionäre verstreut auf den Tribünen.
Bälle wurden immer wieder desinfiziert, die Spiele selbst waren vom üblichen Pomp befreit. «Es war eine besondere Atmosphäre. Ich glaube, darüber und über die nächsten Spiele werden wir in den kommenden Jahren noch reden», sagte Schalkes Aufsichtsratschef Clemens Tönnies. Auch wenn Einlaufmusik und Tor-Melodien vielerorts pflichtschuldig vom Band dröhnten, wirkte die Geräuschkulisse zumeist wie bei einem Bezirksliga-Kick. «Das hatte ein bisschen was von U19-Bundesliga», schilderte Paderborns Mohamed Dräger seine Eindrücke.
Die Fans konnten all dies nur am Fernseher verfolgen – wenn sie es denn wollten. Rechte-Inhaber Sky zeigte die TV-Konferenzen der 1. und 2. Liga am Neustart-Wochenende kostenfrei und will dies in der nächsten Woche wiederholen. In Fan-Kneipen jedoch blieb die Stimmung gedämpft, weil auch hier nur begrenztes Publikum erlaubt war und Abstandsregeln eingehalten werden mussten. Die befürchteten Fan-Ansammlungen blieben auch vor den Stadien aus.
Neidisch blickte so mancher Star aus dem Ausland auf den gelungenen Wiederanpfiff der Bundesliga. «Sie kündigen es an, sie machen es. Danke», schrieb Zlatan Ibrahimovic vom AC Mailand vor schwarz-rot-goldenem Hintergrund bei Instagram. «Erstes Fazit nach 90 Minuten: wie erwartet sehr merkwürdig ohne Fans. Trotzdem macht es Spaß, endlich wieder Fußball zu sehen nach so langer Zeit», urteilte Nationalspieler Ilkay Gündogan von Manchester City.
Auf dem Rasen geschah sogar Historisches für die Statistikbücher. Die Schalker nutzten als erstes Team der Bundesliga die Chance zu fünf statt drei Auswechslungen, die es bis zum Saisonende für alle Mannschaften der 1. und 2. Liga gibt. Die DFL hatte eine Änderung der Regelhüter des International Football Association Boards übernommen. Damit sollen die Spieler angesichts des engen Terminkalenders im Zuge der Corona-Krise entlastet werden. Bereits vor dem Montagabendspiel zwischen Werder Bremen und Bayer Leverkusen wurde damit der Rekord für die meisten Einwechslungen an einem Bundesliga-Spieltag gebrochen.
Die Rettungsmission des deutschen Fußballs für das Profigewerbe ist also nach Plan angelaufen. «Wir werden alles dafür tun, dass die Liga durchgespielt wird – und wenn es erst im Juli ist», sagte Bobic.
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(dpa)