Tryon – Ingrid Klimke kämpfte mit den Tränen. Tapfer versuchte die Reiterin nach ihrem bitteren Fehler, Fassung zu bewahren. Denn die 50-Jährige patzte ausgerechnet am letzten Hindernis der Vielseitigkeits-Weltmeisterschaft in den USA und verpasste den Titel hauchdünn.
Sie musste sich mit Platz drei begnügen. «Hauptsache wir haben eine Medaille mit nach Hause gebracht», kommentierte die Reiterin: «Es ist halt die bronzene, aber das geht auch.» Mit feuchten Augen sagte Klimke: «Ich bin trotzdem happy mit Bronze. Das Minimalziel war die Olympia-Qualifikation mit der Mannschaft, das haben wir geschafft.» Mit Platz fünf blieb die Mannschaft in Tryon (North Carolina) hinter den Erwartungen, darf aber nun bei den Spielen 2020 in Tokio starten.
Die Europameisterin aus Münster hatte es selbst in der Hand. Sie ritt als letzte Starterin ein – und kassierte vier Strafpunkte, als die Kollegen zum Jubel bereit waren. «Wahrscheinlich hätte ich ihn ein bisschen mehr treiben müssen», sagte Klimke.
«Bis dahin sprang er gut», sagte sie. Allerdings wackelten auch schon vorher Stangen. Weil Klimke mit Hale Bob so tragisch patzte, jubelte Rosalind Canter. Die Britin gewann auf Allstar mit 24,60 Strafpunkten vor Padraig McCarthy (Irland) mit Mr Chunky (27,20) und Klimke (27,30).
«Das ist natürlich schade, aber ein Fehler kann immer passieren. Bronze ist ein kleiner Trost für sie», sagte Bundestrainer Hans Melzer. Platz fünf mit dem Team sei «eine Enttäuschung», sagte der Coach: «Wir wollten sicher mehr. Da muss man nicht drumherum reden.»
Zum deutschen Quartett von Tryon gehörten außerdem Andreas Dibowski aus Döhle mit Corrida, Kai Rüder aus Blieschendorf mit Colani Sunrise und Julia Krajewski (Warendorf) mit Chipmunk. Auch Dibowski, zweitbester Deutscher auf Rang 28 sagte: «Wir hatten uns mit der Mannschaft mehr ausgerechnet. Unsere eigenen Erwartungen haben wir hier nicht erfüllt.» Weltmeister wurde Großbritannien mit 88,80 Strafpunkten vor Irland (93,00) und Frankreich (99,80). Deutschland sammelte 118,20 Strafpunkte.
Das Fehlen von Vorreiter Michael Jung war in den USA nicht zu kompensieren. Der erfolgreichste Vielseitigkeitsreiter der Welt musste absagen, weil keines seiner Pferde fit war. Kurz vor der WM verletzte sich noch Rocana, die für den Tryon-Start vorgesehen war. «Einen Michi Jung kann keine Mannschaft der Welt ersetzen», sagte Dennis Peiler der Sportchef der Deutschen Reiterlichen Vereinigung.
Einzel-Gold für Klimke hätte die Bilanz geschönt. Vor dem letzten Ritt hatte die Tochter der Dressur-Legende Reiner Klimke mit ihrem Pferd Hale Bob in der Dressur und beim Geländeritt starke Leistungen gezeigt. Doch durch den Patzer verpasste Deutschland den Gold-Hattrick nach den WM-Siegen von Michael Jung 2010 in Lexington und Sandra Auffarth 2014 in Caen.
Ihren größten Einzelerfolg feierte Klimke 2017 in Polen, als sie bei der EM ihr erstes Einzel-Gold gewann. Entsprechend forsch hatte sie vor der WM gesagt: «Es wäre ja Quatsch, wenn ich jetzt sage, dass ich mit meinem 14-jährigen Europameister nur teilnehmen will. Ich habe eine klare Vision. Wenn ich da hinfahre, dann will ich auch gewinnen.» Doch in Tryon vergab sie die große Chance.
Einige Male schon hatte Klimke greifbar nahe Siege im abschließenden Springen vergeben. Etwa bei den Olympischen Spielen in Hongkong, als sie zwei Abwürfe mit Abraxxas hatte und sich im Einzel mit Platz fünf begnügen musste. Dieses Trauma schien bei der EM vor einem Jahr beendet – jetzt kehrte es zurück.
Mit der Mannschaft ist Klimke deutlich erfolgreicher. Seit 2004 gehörte sie immer zu den von Hans Melzer gecoachten Teams, egal ob bei EM, WM oder Olympia. Je zwei Mannschafts-Goldmedaillen von Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften hängen zu Hause in Münster, dazu drei von Europameisterschaften. Sieben goldene Team-Medaillen, so viele hat sonst niemand.
Nach dem Geländeritt war Klimke noch «total happy». Denn «es lief super, wie er den Berg hochgaloppiert ist. Als ich merkte, dass die zweite Luft da ist, konnte ich noch mal zum Ende richtig Gas geben. Er ist echt so ein schnelles Pferd, hat viele Reserven.» Nur für das Springen am Montag reichte es nicht.
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(dpa)