München – «Thiago oder nix!» So vehement wie einst Pep Guardiola würde Hansi Flick seine Spielerwünsche beim FC Bayern München niemals formulieren. Schon gar nicht öffentlich.
Aber wer mit dem 55-Jährigen über den Fußballer Thiago Alcântara do Nascimento spricht, kann eine ähnliche Wertschätzung wie beim Trainerkollegen Guardiola heraus hören. Schließlich kann Flick den 29-jährigen Spanier auch während der Bundesligapause wegen des Coronavirus in München nahezu täglich beim Kleingruppentraining auf dem Rasen beobachten.
«Bei Thiago sieht man einfach, was er für ein genialer Fußballer ist. Er ist ein besonderer Fußballer», sagt Flick. Als Guardiola 2013 seine Arbeit in München aufnahm, da tat das der drei Jahre später zu Manchester City weitergezogene katalanische Starcoach eben mit der ultimativen Transferforderung nach diesem speziellen Kicker: «Thiago oder nix!» Die Bayern erfüllten Guardiola damals den Wunsch, der eher wie ein Befehl klang. Für 25 Millionen Euro wechselte das seinerzeit 22 Jahre alte Mittelfeldtalent Thiago vom FC Barcelona zum FC Bayern.
Es deutet gerade alles darauf hin, dass die Zusammenarbeit noch länger ausgedehnt wird. In Vorbereitung ist ein neuer Vertrag bis 2023. Aufsichtsratschef Herbert Hainer zeigt sich «zuversichtlich», dass «in absehbarer Zeit» auch hier Vollzug gemeldet werden kann. Und der Mittelfeldgenius philosophierte schon über den FC Bayern als «wunderbaren Club, um eine Karriere zu beenden».
Ein Jahrzehnt Thiago beim FC Bayern? Für Flick ist das ein guter Plan des Vereins, denn sein Motto lautet grundsätzlich: «Qualität halten.» Nach ihm selbst verlängerten zuletzt in München bereits Thomas Müller (bis 2023) und Alphonso Davies (bis 2025) vorzeitig ihre Verträge. Gespräche mit Manuel Neuer, David Alaba und eben Thiago laufen.
Thiago hat in dem halben Jahr unter Flick eine erstaunliche Entwicklung genommen. Als der vormalige Assistent Anfang November Niko Kovac als Cheftrainer ablöste, saß der Edeltechniker erstmal auf der Ersatzbank. «Er hatte vorher nicht gut gespielt», sagt Flick rückblickend auf den Anfang. Das änderte sich aber rasch wieder. «Seit der Winterpause ist er top», sagt Flick über Thiago.
Der Edelkicker mit der schwerelos wirkenden Spielweise hatte den Jahreswechsel zum Reflektieren genutzt, wie er erzählte: «Was hat man gut und was schlecht gemacht? Wir haben wieder bei Null begonnen.»
Dass Thiago bis zum Zwangsstopp durch Corona im siebten Bayern-Jahr doch wieder zu einem maßgeblichen Faktor im Bayern-Spiel geworden war, hängt auch mit einem sehr wirkungsvollen Tandem zusammen, das er im zentralen Mittelfeld mit Joshua Kimmich (25) bildet. «Das funktioniert sehr gut, sie sind sehr kreativ und sehr diszipliniert. Sie teilen sich die Arbeit auf der Sechs, das sieht richtig gut aus», schwärmte Sportdirektor Hasan Salihamidzic.
Beide mussten sich aneinander gewöhnen und ihre Stärken miteinander verzahnen. «Das hat sich dann im Laufe der Zeit eingespielt», sagte Nationalspieler Kimmich: «Wenn man die Ergebnisse sieht und auch die Art und Weise, wie wir spielen, kann man damit zufrieden sein.»
Flick wird auch bei einem möglichen Neustart mit Geisterspielen auf das Duo Kimmich/Thiago setzen. «Sie haben gut harmoniert, sorgen für eine gute Stabilität in der Defensive. Beide sind auch wichtig im Spielaufbau, sie geben den Rhythmus vor», sagt der Trainer.
Womöglich kann Thiago an Kimmichs Seite auch jene Kritiker verstummen lassen, die gerade in großen Spielen mehr von ihm erwarten. Derartige Kritik kontert er öffentlich nicht konkret. Thiago weist dann lieber wie in einem Interview für das Vereinsmagazin auf seine bisherige Club-Vita hin: «Ich bin seit Jahren hier, wir wurden jedes Mal Meister und dreimal Pokalsieger, standen dazu viermal im Halbfinale der Champions League.» Der Triumph in der Königsklasse fehlt ihm mit dem FC Bayern noch. Eine Vertragsverlängerung könnte das Zeitfenster bis 2023 vergrößern.
Fotocredits: Tom Weller
(dpa)