Köln – Nachdem Christian Dissinger mit Vardar Skopje Europas Handball-Thron erklommen hatte, startete der Ex-Nationalspieler in einen ausgelassen Party-Marathon. Selbst seine ungewisse sportliche Zukunft war dem 27-Jährigen im Moment des Triumphes egal.
«Die nächsten drei, vier Tage wird nur gefeiert, dann werden wir weitersehen», verkündete Dissinger im Anschluss an den 27:24-Endspielsieg gegen Telekom Veszprem euphorisch.
Beim Empfang in Nordmazedonien werden 100.000 Menschen auf den Straßen der Hauptstadt erwartet. Für Skopje dürfte es vorerst jedoch der letzte Anlass für eine große Feier gewesen sein, denn nach dem Ausstieg des Hauptsponsors wird das mit Spielern aus zehn Nationen zusammengekaufte Team wohl zerfallen. «Auf dem bisherigen Niveau wird es nicht weitergehen», redete Dissinger Klartext. Was aus dem deutschen Rückraumspieler wird, ist unklar. Derzeit hat er noch keinen neuen Vertrag.
Schon in den vergangenen neun Monaten hatten Dissinger & Co. ihre Gehälter nur unregelmäßig und teilweise ausbezahlt bekommen. Umso höher ist der zweite Champions-League-Triumph nach 2017 zu bewerten. «Wir sind bei Vardar nicht nur Teamkollegen, sondern 18 Brüder, die noch enger zusammengerückt sind, als die Meldung kam, dass es mit dem Verein zu Ende geht», beschrieb Dissinger mit Pathos in der Stimme das Geheimnis des überraschenden Erfolges.
Der markierte für den früheren Bundesligaprofi des THW Kiel das Ende einer langen Seuchenzeit. Schon 2013 war er nach der Insolvenz seines damaligen Arbeitgebers Atletico Madrid einige Monate arbeitslos. Zu der Zeit hatte ihn gerade sein zweiter Kreuzbandriss lahm gelegt. Bei TuS N-Lübbecke fasste er in der Bundesliga wieder Fuß und wechselte 2015 nach Kiel.
Im Jahr darauf war Dissinger auf dem Gipfel. Mit der DHB-Auswahl gewann er sensationell EM-Gold und dann auch noch Olympia-Bronze in Rio. Doch danach ging es wieder abwärts. Wegen Überbelastung verordnete er sich eine freiwillige Auszeit in der Nationalmannschaft, die – mittlerweile ungewollt – bis heute anhält.
In Kiel schmiss Dissinger im Herbst 2018 frustriert hin, weil er beim Rekordmeister kaum zum Einsatz kam. «In den vergangenen drei Jahren ist so viel schief gelaufen. Deshalb ist es genial, hier mit dem Pokal zu stehen», beschrieb Dissinger am Sonntagabend nach dem spannenden Finale seine Gefühle.
In Skopje wollte er noch einmal durchstarten. «Ich bin froh, dass Vardar mir eine neue Chance gibt», sagte er bei seiner Verpflichtung. Doch das Verletzungspech blieb ihm treu. Anfang April erlitt Dissinger zwei Bänderrisse im Ellenbogen, erst kurz vor dem Final Four meldete er sich einsatzbereit. Nun droht wieder das Nichts. Ganz aufgegeben hat Dissinger die Hoffnung auf eine Zukunft bei Vardar aber noch nicht: «Vielleicht öffnet nach dem Champions-League-Sieg ja irgendjemand seine Schatulle.»
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(dpa)