Berlin – Emotionaler Abschied für Robert Harting, Comeback von Maskottchen Berlino und ein hoch motiviertes Gastgeber-Team mit vielen Medaillenträumen: Neun Jahre nach der glanzvollen Heim-WM sollen die Europameisterschaften in Berlin wieder zu einem Sommermärchen der Leichtathletik werden.
Fast 1600 Sportler aus 51 Ländern kämpfen unter der Hitzeglocke der deutschen Metropole von Montag bis Sonntag um die Medaillen. Die Gastgeber kommen bestens vorbereitet mit 125 Athleten – das größte deutsche Team in der EM-Geschichte.
Nicht alle der 48 Entscheidungen fallen auf der blauen Bahn im historischen Olympiastadion, wo Diskuswerfer Robert Harting 2009 seine erste von drei WM-Goldmedaillen mit den Fans bejubelte und danach sein Trikot martialisch zerriss. Auch mitten in der City geht die Post ab: Auf der Europäischen Meile am Breitscheidplatz ermitteln die Kugelstoßer am Montagabend in der Qualifikation ihre Finalisten. Dabei ist dann auch David Storl: Der Sachse will in Berlin seine viertes EM-Gold in Serie – das hat noch kein Kugelstoßer geschafft. Mitten in der Stadt sind zudem Start und Ziel der Marathon- und Geher-Wettbewerbe.
Die deutschen EM-Macher um Chefplaner Frank Kowalski wollen wieder gute Gastgeber sein, die deutschen Asse sind heiß. Und das nicht nur wegen 30 Grad und mehr in Berlin. Neben Storl treten vier weitere Titelverteidiger an, die bei der EM 2016 in Amsterdam mit Gold glänzten: Dreispringer Max Heß, Hürdensprinterin Cindy Roleder, Hindernis-Läuferin Gesa Felicitas Krause und Kugelstoßerin Christina Schwanitz.
In Amsterdam belegten die deutschen Asse mit 16 Medaillen (5 Gold/4 Silber/7 Bronze) Platz zwei im Medaillenspiegel. Mit dem Heimbonus, fünf Titelverteidigern und neuen Toptalenten ist in Berlin vielleicht sogar mehr drin. «Wir kämpfen um jeden Zentimeter», sagte Idriss Gonschinska, Cheftrainer des Deutschen Leichtathletik-Verbandes», auf der letzten EM-Teamsitzung vor dem EM-Start.
Besonders hoch gehandelt wird das Speerwurf-Trio, das in diesem Jahr schon weltweit für Furore sorgte: Olympiasieger Thomas Röhler (Jena), Weltmeister Johannes Vetter (Offenburg) und der deutsche Meister Andreas Hofmann aus Mannheim kämpfen am 9. August um Medaillen. Drei Speerwerfer einer Nation gemeinsam auf dem Siegerpodest – das gab es bei den 1934 stattfindenden Europameisterschaften noch nie.
«Es war immer unser Ziel, den Dienstag mit einem Big Bang zu beginnen und gleich am ersten Abend zu zeigen, wofür die Leichtathletik steht», erklärte Kowalski. «Wir wollen Leichtathletik in einer Attraktivität präsentieren, wie es noch nie geschehen ist», sagte Clemens Prokop, Organisationschef und einst DLV-Präsident. Dazu gehören der kompakte Zeitplan mit nur dreistündigen Abendsessions.
Robert Harting wird bei seiner unwiderruflich letzten EM auf jeden Fall stürmisch gefeiert – so oder so. Mit 33 Jahren hört der Berliner nach dieser Saison auf. Holt sich sein Bruder Christoph zwei Jahre nach seinem Olympiasieg den ersten EM-Titel? Derzeit ist er bester Deutscher, aber in Europa nur die Nummer 4. Doch für einen Coup ist der deutsche Meister immer gut.
Wer sind am Ende die Stars der EM? Sprintkönigin Dafne Schippers aus den Niederlanden? Frankreichs Stabhochsprung-Dauerbrenner Renaud Lavillenie kämpft ebenso um seinen vierten EM-Titel wie Kugelstoßer Storl. An Kroatiens Diskuswerferin Sandra Perkovic dürfte erneut kein Weg vorbeiführen. Wer soll der 28-Jährigen das fünfte EM-Gold in Serie streitig machen?
Für Berlins Regierenden Bürgermeister Michael Müller ist der Breitscheidplatz aufgrund seiner Historie «prädestiniert» als Ort für die EM. Bei einem Anschlag am 19. Dezember 2016 an der Kaiser-
Wilhelm-Gedächtniskirche hatte der Terrorist Anis Amri zwölf Menschen getötet und mehr als 70 verletzt. Gegen diesen grausamen Terrorakt «setzen wir jetzt ein Zeichen der Völkerverständigung und für die europäische Einheit», sagte der SPD-Politiker.
In Berlin starten auch 29 russische Leichtathleten – allerdings als neutrale Sportler im Team der Authorised Neutral Athletes (ANA), die vom Weltverband IAAF eine Ausnahmegenehmigung erhalten haben. Ihr Verband ist weiterhin suspendiert, weil jahrelang ein Dopingsystem betrieben wurde. Ein Gold-Kandidat wird fehlen: Weltklasse-Hochspringer Danil Lyssenko. Weil er gegen die Anti-Doping-Regeln verstieß, entzog ihm die IAAF das Startrecht als neutraler Athlet.
Fotocredits: Kay Nietfeld
(dpa)