Leipzig – Die Rückkehr in seine einstige Wohlfühl-Oase war für Christian Prokop zumindest 60 Minuten lang Balsam für die Seele.
Nach den letzten Tagen mit teils heftigster Kritik an seiner Person wurde der Handball-Bundestrainer in Leipzig an seiner alten Wirkungsstätte beim Allstar-Game des DHB-Teams gegen eine Bundesliga-Auswahl ebenso wie seine Spieler gefeiert. «Es ist natürlich eine schöne Ablenkung», bekannte der 39-Jährige. «Es täuscht aber nicht über unsere Enttäuschung hinweg.»
Gut anderthalb Wochen nach dem EM-Debakel mit Rang neun betrieb Prokop bei der ersten Sitzung des Präsidiums des Deutschen Handballbundes (DHB) Eigenwerbung. «Ich habe ein gutes Gefühl mit der Mannschaft und will sie weiterzuführen. Ich bin zuversichtlich, dass man mit diesem Team viel erreichen kann», sagte Prokop.
Prokop will mit seiner Vision von modernem und innovativem Handball Deutschland in der Weltspitze etablieren. Doch noch gelang das nicht. Auch weil schon während und nach der EM von atmosphärischen Störungen zwischen dem Trainer und den «Bad Boys» die Rede war. «Aber mit Sicherheit sind die Gräben nicht so, wie sie dargestellt wurden», sagte Prokop und beklagte viele kursierende Halb- und Unwahrheiten.
Auch für Abwehrchef Finn Lemke, an dessen anfänglicher Nichtnominierung sich die internen Spannungen aufgebaut haben sollen, wurde «viel fehlgedeutet und fehlinterpretiert.» Rückraum-Spieler Julius Kühn meinte: «Es wirkt von außen so, als ob das Tischtuch zerschnitten wäre. Das ist meiner Meinung nach nicht der Fall.»
Erste Gespräche zwischen Bundestrainer und dem Team gab es, weitere werden mit dem Präsidium folgen. In vier bis sechs Wochen will der DHB ohne Zeitdruck eine Entscheidung fällen, ob der mit einem Vertrag bis 2022 ausgestattete Prokop bleibt. Liest man zwischen den Zeilen, dürfte mehr für eine Weiterbeschäftigung als dagegen sprechen. «Es ist Zeit über eine sprachliche Abrüstung zu reden, vor allem darüber, ob Köpfe rollen sollen», sagte DHB-Präsident Andreas Michelmann bei Sky. Kühn ergänzte: «Jeder macht Fehler, wir sind keine Maschinen. Alles ist möglich über eine persönliche Aussprache.»
Unterstützung erhielt Prokop von Liga-Präsident Uwe Schwenker. «Die Person Christian Prokop ist für mich völlig unantastbar. Und ich glaube auch für alle beteiligten Präsidiumsmitglieder, sowohl der Handball-Bundesliga als auch des Deutschen Handballbundes», sagte Schwenker.
Auch die Spieler zweifeln nicht an Prokops Kompetenz. Doch allein diese reicht nicht aus, um ein Team hinter zu sich ziehen. Ein klares Bekenntnis pro Prokop gab es vom Team noch nicht. «Jeder hat sich selbst hinterfragt, was er hätte besser machen können. Jetzt wird es weiter in die Analyse gehen, und dann schauen wir mal», sagte der nach seiner schwachen Leistung ebenfalls in die Kritik geratene Kapitän Uwe Gensheimer. Lemke ergänzte: «Es muss noch etwas Zeit ins Land gehen, bevor man dazu konkret was sagen kann.»
Viel wird davon abhängen, ob der oft als stur geltende Prokop bereit ist, an sich zu arbeiten und andere Meinungen zuzulassen. Erste Fehler, wie die Nichtnominierung von Lemke, gestand er ein. Zudem habe er seine eigene Unzufriedenheit das Team spüren lassen. «Das ist mit Sicherheit ein Fehler, eine Erfahrung, die man aus so einem engen Turnierverlauf mitnehmen wird», gab Prokop zu.
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(dpa)