London – Altmeister mit Comeback-Sehnsucht gegen den kommenden Superstar der Branche: Beim Boxkampf der Superlative zwischen Wladimir Klitschko und Weltmeister Anthony Joshua liegt am Samstag in London ein K.o. in der Luft.
Unter freiem Himmel im mit 90 000 Zuschauern ausverkauften Wembley-Stadion trifft der dynamische Titelträger aus Großbritannien mit der K.o.-Quote von 100 Prozent auf den ukrainischen Routinier, der bei 64 Siegen als Profi 53 Knockouts landete. Allerdings kann der 41 Jahre alte Ex-Weltmeister, der zuletzt im November 2015 boxte und verlor, weit besser austeilen als einstecken.
Wladimirs Bruder Vitali, vor drei Jahren als WBC-Weltmeister zurückgetreten, hat keinen Zweifel: «Wladimir knockt ihn aus.» Ex-Champ Lennox Lewis will sich nicht festlegen: «Wird es ein kurzer Kampf, siegt Joshua. Wird es ein langer Kampf, siegt Wladimir. Auf alle Fälle wird es einen K.o. geben.» Der deutsche Verbandspräsident Thomas Pütz setzt auf einen Klitschko-Sieg: «Seine Erfahrung wird den Ausschlag geben. Joshua hat noch keine Großen geboxt.» Andere Experten und die Londoner Buchmacher setzten auf den 27 Jahre alten Titelverteidiger, der erst seinen 19. Kampf bestreitet und noch nie mehr als sieben Runden ging.
Über die Börsen der beiden Hauptdarsteller der großen Box-Show, die sich in Statur, korrektem Auftreten und enormem Trainingsfleiß ähneln, wird ein Geheimnis gemacht. Beide Olympiasieger (1996 bzw. 2012) dürften mindestens 20 Millionen Euro einstecken. Allein über den Ticket-Verkauf und das Pay-per-View sollen laut britischen Medien etwa 48 Millionen Euro zusammenkommen. In Deutschland überträgt RTL ab 22.00 Uhr live, es geht um den IBF- und den WBA-Superchamp-Titel.
Der promovierte Sportwissenschaftler Klitschko, nach eigenen Worten regelrecht «versessen» auf diesen Kampf, will eine Scharte auswetzen. Am 28. November 2015 verlor er in Düsseldorf völlig überraschend gegen den im Vergleich zu Joshua eher ungehobelten Tyson Fury. Die vertraglich vereinbarte Revanche fiel aus. Der exaltierte Landsmann Joshuas, mutmaßlicher Drogen-Konsument, hat inzwischen seine Boxlizenz verloren. So kam es zu dem brisanten Duell, das an alte Zeiten in der Königsklasse erinnert.
Klitschko, der das Schwergewicht bis zum Gau gegen Fury ein Jahrzehnt beherrscht hatte und in 28 WM-Kämpfen der großen Verbände stand, ließ offen, wie es nach Samstag weitergehen wird. Immerhin teilte er vor dem Kampf gegen den muskelbepackten britischen Star mit: «Wenn er gewinnt, werde ich ihm gratulieren. Wenn ich gewinne, werde ich ihm helfen zurückzukommen.»
Beide Modellathleten begegnen sich mit Respekt. Rüde Worte und Gesten? Fehlanzeige. Beim tiefen Blick in die Augen, beim Face to Face auf der letzten Pressekonferenz, konnten sich beide ein Lachen nicht verkneifen. Die verbalen Attacken fielen eher harmlos aus. Klitschko mokierte sich ein bisschen über Joshuas Muskelberge: «Wie Arnold Schwarzenegger in seinen besten Zeiten», sagte er – und ließ an seiner Zuversicht keinen Zweifel: «Ich fühle mich schon jetzt als Gewinner. Auch wenn die meisten Fans hinter Anthony stehen werden: Das ist mein Event, meine Nacht, mein Ring und mein Sieg.»
Vor seinem Heimspiel hielt sich der ebenso smarte wie spendable Titelverteidiger, der seinem Jugendtrainer Sean Murphy eine brandneue Limousine vor die Tür stellte, mit Sprüchen zurück. «Was am Samstag passieren wird? Ich werde gewinnen. Und das ist keine Raketenwissenschaft», sagte Joshua und gestattete sich damit einen kleinen Verweis auf die Promotion seines Gegners. Die Doktorarbeit Klitschkos, der zum dritten Mal Weltmeister werden will, hatte den Titel: «Sportbegabung und Talentförderung».
Fotocredits: Matt Dunham
(dpa)