Berlin – In tiefer Sorge um die Formel 1 und seine gesamte Vollgas-Welt ruft der Chef des Automobil-Weltverbands zur Radikalkur auf.
«Was wir brauchen, ist ein komplettes Umdenken im Motorsport. Wir könnten von einem «New Deal» reden, wie ihn Amerika nach der Weltwirtschaftkrise hatte», lässt sich Fia-Präsident Jean Todt im jüngsten Verbandsmagazin zitieren. Der frühere Ferrari-Teamchef von Michael Schumacher weiß, dass der Corona-Stillstand auch die Zukunft seines Premium-Produkts Formel 1 gefährdet. Zugleich aber könnte die Krise auch die Chance für überfällige Reformen in der Rennserie sein.
Dies sei ein «schmerzhafter» Prozess, sagt Formel-1-Sportchef Ross Brawn. «Aber ich denke, wir werden stärker daraus hervorgehen, wenn wir da durchkommen», fügt der 65-Jährige mit dem Spitznamen «Superhirn» hinzu. Kostengünstiger soll die Formel 1 werden, gerechter und effizienter. Näher am Fan, spannender und angeblich sogar klimafreundlicher. All das wollte Rechte-Inhaber Liberty Media schon vor der Covid-19-Pandemie durchsetzen, nun aber ist der Zwang zu schnellen Veränderungen ungleich größer.
Neben einem Not-Kalender mit einem Saisonstart am 5. Juli in Österreich und einer Serie von Geisterrennen diskutieren die Macher der Formel 1 seit Wochen vor allem über die künftige Ausgabengrenze. Die einst für 2021 beschlossenen 160 Millionen Euro pro Team und Jahr sind längst überholt, der Sparzwang ist übermächtig. 133 Millionen Euro sollen es nun im nächsten Jahr sein, verkündet Unterhändler Brawn. «Und die Frage ist, wie weit wir das in den nächsten Jahren noch drücken können», ergänzt er.
Vor allem Ferrari wehrt sich gegen eine noch weitere Reduzierung des Limits, weil der Rennstall von Sebastian Vettel sonst wohl viele Mitarbeiter entlassen müsste – und sich vor einem Aufholen der kleineren Teams fürchtet. Doch im Kampf Groß gegen Klein haben diesmal die Underdogs die stärkeren Argumente und die Regelmacher auf ihrer Seite. «Als eine Familie sollten wir in der Formel 1 nach allen Beteiligten schauen», sagt auch Vettel.
«Die wirtschaftliche Nachhaltigkeit ist in der jetzigen Situation die Priorität, und das gilt für die großen Teams genauso wie für die kleinen», sagt Formel-1-Sportchef Brawn. Für mehr finanzielle Chancengleichheit soll auch das Preisgeld künftig anders verteilt werden. Die Mittelfeld-Teams erhalten dann mehr aus diesem Topf als bisher. Weniger Ausgaben, höhere Einnahmen – mit diesem Rezept soll die Konkurrenz demnächst bessere Chancen gegen die Platzhirsche Mercedes, Ferrari und Red Bull haben.
Zugleich hoffen Weltverband und Eigentümer mit einem neuen Geschäftsmodell auch auf Neuzugänge. Die Formel 1 sei offen für zwei neue Rennställe, wenn sich Investoren finden würden, berichtet das Fachmagazin «Auto, Motor und Sport». Durch den erforderlichen Personalabbau bei aktuellen Teams wären Fachkräfte verfügbar. Der Einstieg sei durch das Budgetlimit günstiger möglich als bisher.
Allerdings ist keineswegs sicher, dass alle aktuellen Teams trotz der Millionen-Vorschüsse vom Rechte-Inhaber nach der Krise noch dabei sind. Privaten Rennställen droht bei einer langen Zwangspause die Pleite. Hersteller wie Mercedes oder Renault könnten wegen der Notlage in der Autoindustrie ihr Engagement überdenken. «Ich hoffe, die Teambesitzer und Sponsoren behalten ihre Motivation. Wir müssen sie in ihrem Gefühl bestärken, dass sie es weiter wollen und brauchen», mahnt Fia-Chef Todt.
Der langjährige Chefvermarkter Bernie Ecclestone rät seinen Nachfolgern zu noch drastischeren Schritten. «Jemand sollte das Regelbuch zerreißen – und ganz neue Regeln schreiben», sagt der 89-Jährige in einem «Autocar»-Interview. Weg mit überkomplizierter Technik und Hybridmotoren, zurück zu dröhnenden Verbrennern und größeren Freiheiten für wilde Fahrer – das ist Ecclestones Vision. «Wir müssen sicherstellen, dass die Formel 1 ein Entertainment-Paket bleibt», sagt der Brite.
Auch wenn Ecclestone damit wohl so manchem Retro-Fan wie Sebastian Vettel aus der Seele spricht, dürften seine Vorschläge bei den Entscheidern ungehört verhallen. «Wir müssen bescheiden sein. Auch wenn wir Motorsport lieben, ist er nicht unverzichtbar für die Gesellschaft», sagt Weltverbandspräsident Todt. «Also müssen wir angemessene und weise Entscheidungen treffen.»
Fotocredits: Zsolt Czegledi
(dpa)