Rio de Janeiro – Angesichts der erneuten Olympia-Nullnummer der deutschen Beckenschwimmer fordern Trainer und Athleten Konsequenzen. Paul Biedermann etwa befürwortet einen Neuanfang an der Spitze des Deutschen Schwimm-Verbandes und damit ein Ende der Ära von Präsidentin Christa Thiel.
«Es muss Veränderungen geben und das von oben herab. Das wäre der erste Schritt für eine neue Richtung», sagte Biedermann in der ARD und kündigte mit Blick auf die Präsidiumswahl im November an: «Ich werde Gaby Dörries unterstützen.» Die Fachspartenvorsitzende der Schwimmer hat ihre Kandidatur angekündigt.
Die Software-Unternehmerin tritt mit einem Team an, dem auch Olympiasiegerin Britta Steffen und Freiwasser-Rekordweltmeister Thomas Lurz angehören. Neben Dörries will auch der derzeitige DSV-Vizepräsident Recht, Vicco Kohlat, kandidieren. Thiel ist seit 2000 im Amt und müsste sich erstmals Gegenkandidaten stellen. Die Rechtsanwältin hält sich zu einer weiteren Kandidatur noch bedeckt.
Thiel gab kurz vor dem Rückflug nach Deutschland keine Stellungnahme ab. An ihrer Amtsführung mehrt sich die Kritik. Reformen, die nach den medaillenlosen Spielen 2012 angegangen werden sollten, seien nicht umgesetzt worden, bemängeln etwa einige Trainer. Leistungssportdirektor Lutz Buschkow stieß intern oft gegen Widerstände und gibt seinen Posten zum Jahresende auf.
Trainerkollegen unterstützen die Forderung von Chefbundestrainer Henning Lambertz nach Strukturveränderungen. Freiwasser-Bundestrainer Stefan Lurz kritisiert die ausbleibende Reformen im DSV. «Die Probleme sind eins zu eins dieselben. Wir sind auf dem Stand wie 2012», sagte Lurz am Freitag der Deutschen Presse-Agentur. Als Beispiel nannte der Würzburger die nach dem Olympia-Debakel 2012 eingesetzte Strukturkommission, deren Empfehlungen nicht beachtet worden seien. «Es wurde nichts davon umgesetzt.»
So müsse er sich selbst Gedanken machen, wie es nach seinem zum Jahresende auslaufenden Vertrag weitergehe. «Bis jetzt hat keiner mit mir gesprochen. Diese Unsicherheiten übertragen sich natürlich auch auf die Athleten», sagte Lurz. Bis zu den Neuwahlen des Präsidiums im Deutschen Schwimm-Verband im November wird keine Etat-Entscheidung getroffen.
Für Lurz ist Chefbundestrainer Henning Lambertz «im Prinzip der richtige Mann», um die bei den Spielen weiter medaillenlosen Beckenschwimmer bis 2020 wieder näher an die Weltklasse zu bringen. Allerdings könne Lambertz in seiner Position nur «wenig entscheiden und Einfluss nehmen. Selbst die Terminierung der deutschen Meisterschaften liegt nicht in seiner Hand.»
In der «Mainpost» hatte Lurz die unmittelbare Olympia-Vorbereitung hinterfragt. «Wieso orientiert sich der DSV an den Finalzeiten in Rio? Unser Höhepunkt sind die Vorläufe, das muss den Verantwortlichen einmal klar werden.» Das sei aber nur auf seine Schwimmerin Leonie Beck bezogen gewesen, präzisierte er im Gespräch mit der dpa. Sie blieb im Vorlauf über 800 Meter Freistil gesundheitlich angeschlagen weit hinter den Erwartungen.
«Jetzt muss sich etwas ändern», forderte Lurz mit Blick auf die Verbandsstrukturen. «Seit 16 Jahren geht es mit dem deutschen Schwimmsport kontinuierlich bergab.» Er hatte für Rio keine der insgesamt nur fünf Trainer-Akkreditierungen für die Beckenschwimmer bekommen, wie auch sein Kollege Michael Spikermann.
Der Trainer des Olympia-Sechsten Philip Heintz sagte im ZDF-Interview es gebe «ganz sicher strukturelle Probleme und aus meiner Sicht einen großen Reformbedarf.» Dem Deutschen Schwimm-Verband drohen nach Olympia 2012 auch in Rio de Janeiro Spiele ohne Becken-Medaille.
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(dpa)