Berlin – Torwart Rafal Gikiewicz jagt Vermummte zurück auf die Tribüne. Eine Leuchtrakete schlägt nur knapp neben der Spielerbank ein. Sebastian Polter bejubelt den Siegtreffer kurz vor Ende – und berichtet anschließend von «Angst» um die eigene Familie.
Viele Szenen werden nach dem 1:0-Erfolg des 1. FC Union gegen Hertha BSC im ersten Bundesligaderby in Erinnerung bleiben.
TORWART-ABWEHR: Kurz nach Schlusspfiff klettern mehrere Fans aus dem Union-Bereich mit Kapuzen und Sturmhauben vermummt über den Zaun und wollen sich auf den Weg Richtung Gästeblock machen. Blitzschnell reagieren mehrere Profis der Köpenicker, halten die eigenen Anhänger auf und verhindern damit wahrscheinlich weitere Eskalationen. Keeper Gikiewicz packt sogar tatkräftig zu, schreit und weist den Vermummten den Weg zurück auf die Tribüne. Mit Erfolg – die übrigen Fans feiern den Polen mit «Gikiewicz»-Rufen. «Es ist unsere Pflicht, die eigenen Fans auch vor Dummheiten zu beschützen», erklärte Siegtorschütze Polter das Einschreiten.
PYRO-ATTACKE: Schon während der ersten Halbzeit fliegen Leuchtraketen aus dem Hertha-Block Richtung Haupttribüne und über das Stadiondach. Nach der Pause wird in beiden Fanlagern Pyrotechnik gezündet – und aus dem Gästebereich gibt es wieder Leuchtraketenschüsse. Eine schlägt nur knapp neben der Union-Bank ein, der umsichtige Schiedsrichter Deniz Aytekin unterbricht das Spiel für insgesamt fünf Minuten und schickt die Mannschaften auch zeitweise in den Kabinengang. Ein Abbruch droht.
«Man muss viele Faktoren abwägen. Die oberste Priorität war natürlich die Sicherheit der Verantwortlichen, der Spieler, von uns allen», erklärt der Referee anschließend. «Letztendlich haben wir dann auch in Abstimmung mit der Polizei – da waren wir in sehr engem Kontakt – entschieden, das Spiel zu Ende zu bringen.» Kurz vor Ende des Spiels verbrennen Hertha-Anhänger auf dem Zaun zudem noch Fanutensilien, die offensichtlich von Union stammen.
Insgesamt gibt es nach ersten Polizeiangaben zwei Leichtverletzte durch das Abfeuern von Pyrotechnik, darunter ein Polizist. Es werden Strafermittlungsverfahren eingeleitet. Beiden Clubs drohen empfindliche Strafen durch den Deutschen Fußball-Bund.
DERBY-HELD: In keinem Saisonspiel reichte es für Polter bislang für die Startelf. Und doch darf der Stürmer wie schon beim 1:2 beim FC Bayern vor einer Woche Verantwortung beim Elfmeter übernehmen – und wird in der 87. Minute zum umjubelten Helden. Hertha-Keeper Rune Jarstein kann den Strafstoß des 28-Jährigen nicht entscheidend ablenken. «Das Kompliment muss an die Mannschaft und den Verein gehen», betont Polter. «Jetzt können unsere Fans mit strahlendem Gesicht zu ihren Arbeitskollegen gehen und sagen: „Wir sind Stadtderbysieger!“»
Erst nach Schlusspfiff habe er erfahren, dass eine Leuchtrakete während der ersten Halbzeit einen Meter neben seinen beiden Kindern und seiner Freundin auf der Haupttribüne eingeschlagen sei, berichtet er. «Das ist schrecklich und nicht zumutbar», sagt Polter. «Wenn man weiß, dass die eigenen Kinder getroffen werden könnten, wünscht man das keinem – weder blau-weiß oder rot-weiß.» Anschließend sei seine Freundin mit den Kindern von der Tribüne gegangen und habe das Spiel vor dem Fernseher verfolgt. «Es sind Idioten, die sowas irgendwo hinzünden.»
HERTHA-ÄRGER: Ausgerechnet Dedryck Boyata als bestem Spieler aus einem schwachen Hertha-Team unterläuft der entscheidende Fehler. Mit einer wilden Grätsche bringt der Belgier den schießenden Union-Routinier Christian Gentner zu Fall – nach Studium der Videobilder bleibt Aytekin bei seiner Strafstoß-Entscheidung. «Für mich ist das kein Elfmeter», schimpft Hertha-Geschäftsführer Michael Preetz. «Die Situation ist abgeschlossen, er schießt kilometerweit übers Tor.»
ZIEL VERFEHLT: Die erste Saisonvorgabe hat Hertha nun bereits verpasst. Zwei Derbysiege und «die Nummer eins in Berlin» hatte Covic bei Amtsantritt als Ziele ausgerufen. Die Frage, ob sein Team nicht zu passiv aufgetreten sei, nervt ihn deshalb bei der offiziellen Pressekonferenz im Stadion An der Alten Försterei sichtbar. «Die Bundesliga besteht aus 34 Spieltagen, nicht nur aus einem», sagt er schmallippig. «Ich will jetzt nicht böse klingen, aber kurz auf die Tabelle schauen: Wir sind immer noch vor (Union).» Nach der zweiten Liga-Niederlage in Serie ist dieser Vorsprung aber auf einen Zähler geschrumpft.
Fotocredits: Britta Pedersen
(dpa)