München (dpa) – So kurios sich das nach dem Olympia-Coup und der Silbermedaille von Pyeongchang anhört: Das Eishockey-Nationalteam steht vor einer ungewissen Zukunft. Der größte deutsche Eishockey-Erfolg hat Begehrlichkeiten geweckt, dessen ist sich DEB-Präsident Franz Reindl bewusst.
Trotz des bis 2022 verlängerten Vertrages von Bundestrainer Marco Sturm könnte der Deutsche Eishockey-Bund seinen Erfolgsmacher verlieren. «Bislang gibt es keine Anfrage. Wir haben den Vertrag vor Olympia verlängert, um ein Signal zu geben. Ich denke auch, dass das angekommen ist», sagte Reindl der Deutschen Presse-Agentur nach der Rückkehr nach Deutschland.
Das Problem: Das Signal der nur um 55,5 Sekunden beim 3:4 nach Verlängerung im Endspiel gegen die Olympischen Athleten aus Russland (OAR) verpassten Goldmedaille in die Welt ist noch größer. Sturm ist mit seinen gerade einmal 39 Jahren ein begehrter Mann. «Trainer Marco Sturm, der Deutschland zur ersten Medaille seit 42 Jahren geführt hat, dürfte nun auf dem Radar vieler NHL-Teams sein. Die einzige Frage ist, ob er als Assistent oder gleich als Cheftrainer anfangen kann», schrieb «USA Today» nach der Olympia-Sensation.
Dass Sturm irgendwann zurück will nach Nordamerika, wo er mit 1006 Spielen in der besten Liga der Welt deutscher NHL-Rekordspieler wurde, ist kein Geheimnis. «Das ist mein Ziel», sagte Sturm zuletzt erst in Südkorea amerikanischen Reportern. «Im Eishockey gibt es nichts Besseres als die NHL.» Zumal Sturm seit seiner beispiellosen Spielerkarriere in Nordamerika bestens vernetzt ist, dürfte es nach dem sensationellen Erfolg und der Entwicklung des Nationalteams generell nur eine Frage der Zeit sein, bis sich das mit den Anfragen ändert. Und dann dürften Reindl und der DEB seinem wichtigsten Mitarbeiter keine Steine in den Weg legen – Vertrag hin oder her. «Wenn eine Anfrage kommt, beschäftigen wir uns damit», sagte Reindl.
Erst unmittelbar nach dem Endspiel-Drama hatte er recht offen über Sturms Ambitionen gesprochen. Auf die Frage, wer sich aus dem Olympia-Kader für die NHL empfohlen habe – von den Spielern wohlgemerkt – hatte Reindl gesagt: «Alle inklusive dem Trainer.»
Bislang hat sich Sturm nicht zu seiner Situation geäußert. Da bereits in einem Monat schon wieder die Vorbereitung auf die WM in Dänemark losgeht, ist ein kurzfristiger Abgang eher unwahrscheinlich, zumal die NHL-Saison noch bis zum Sommer läuft. «Ich habe immer noch Zeit. Ich bin erst 39 und lerne bei jedem Turnier, bei dem wir sind», sagte Sturm zuletzt. Undenkbar ist ein Ende als DEB-Coach im Herbst zum Beginn der neuen NHL-Saison aber nicht. Was soll nach Olympia-Silber noch groß kommen als deutscher Nationaltrainer?
Andererseits dürfte Sturm auch bei einigen seiner routinierten Spieler im Wort stehen. Begeistert durch die Art und Weise, wie Sturm das Nationalteam führt, denken auch die Routiniers nicht ans Aufhören. Vor Olympia war Sturm selbst noch von einem Umbruch ausgegangen: «Gespräche habe ich schon geführt, ein Cut wird kommen.»
Bislang jedoch will keiner der älteren Spieler aufhören. «Grundsätzlich habe ich mir noch keine Gedanken zu einem Rücktritt gemacht», sagte Stürmer Patrick Reimer (35). DEB-Kapitän Marcel Goc (34) meinte: «Meinem Knie geht es gut, im Moment sieht es also gut aus.» Und Ex-NHL-Verteidiger Christian Ehrhoff (35) kann sich gar eine Fortsetzung seiner Karriere bis Olympia 2022 vorstellen.
Dennoch dürfte das Wunderteam von Pyeongchang so nicht mehr zusammen spielen. Bei der WM werden auch wieder Profis aus Nordamerika dabei sein, deren Saison dort vorbei ist. Aktuell sind in der NHL oder den unterklassigen Profiligen neun potenzielle Nationalspieler beschäftigt. Elf Profis aus dem Olympia-Kader sind mindestens schon 30. Zur WM wolle er auch Talente ans Nationalteam heranführen, hatte Sturm bereits angekündigt. «Vielleicht wird die Truppe bei den nächsten Turnieren nicht mehr in dieser Konstellation auf dem Eis stehen», sagte der Bundestrainer selbst. Unabhängig davon, wie lange er noch an der DEB-Bande steht.
Fotocredits: Peter Kneffel