Rio de Janeiro – Die Fingernägel sind wieder schwarz-rot-golden lackiert, und auch vor dem Einschlafen darf das altbekannte Ritual nicht fehlen. «Träum schön von der Medaille», rufen sich Kristina Vogel und Miriam Welte noch schnell zu, bevor im olympischen Dorf das Licht ausgeknipst wird.
So hatten es die sympathischen «Golden Girls» in London gehalten, so wird es auch in Rio de Janeiro gemacht. Der völlig überraschende Olympiasieg im Teamsprint von London ist bei dem Bahnrad-Duo immer noch präsent. «Die Erinnerungen bereiten mir auch heute noch eine Gänsehaut», sagt Vogel. Welte pflichtet bei: «Ab und zu hole ich die Bilder wieder raus. Das ist mein Motivationsschub.»
Am Freitag würden sie nur zu gern den Triumph von 2012 wiederholen. «Wir träumen nach wie vor von Gold», sagt Welte, auch wenn ein Sieg gegen die überragenden Chinesinnen nicht realistisch ist. Aber was heißt schon realistisch? «Wir hatten damals Glück, warum sollte es nicht wieder so laufen», ergänzt Vogel.
Geradezu wundersame Dinge waren an jenem 2. August 2012 im Londoner Velodrome geschehen. Vogel und Welte gaben gerade der BBC ein Interview, als die Nachricht von der Disqualifikation der Chinesinnen die Runde machte. Aus Silber wurde Gold, und plötzlich kullerten die Freudentränen. Schon im Halbfinale gegen die Britinnen waren die beiden nur durch einen Wechselfehler weitergekommen.
Vier Jahre später ist die Ausgangslage ähnlich. Bei der WM im März hatten Vogel und Welte den dritten Platz belegt, der Abstand zu China und Russland war happig. «Wir werden auf Risiko fahren müssen, um eine Medaille zu holen», sagt Bundestrainer Detlef Uibel und ergänzt: «Die Gefahr eines Wechselfehlers ist sehr groß. Wir dürfen uns aber nicht beklagen. Wir sind durch zwei Wechselfehler Olympiasieger geworden.»
Welte ist das Sorgenkind im Team, war sie doch durch viele Verletzungen zurückgeworfen worden. Inzwischen hat sich die Pfälzerin steigern können. «Ich habe die letzten fünf Monate richtig hart trainiert und mir jeden Tag in die Fresse gehauen», sagt die 29-Jährige, der aber ausgerechnet in Rio ein kleiner Infekt zu schaffen machte. Nach vier Tagen ging es aber wieder.
Bei Vogel läuft dagegen alles nach Plan. War die Erfurterin vor vier Jahren noch das Nesthäkchen in der deutschen Mannschaft, ist sie inzwischen als siebenmalige Weltmeisterin längst der große Star. In den Einzeldisziplinen Sprint und Keirin zählt sie zu den Topfavoritinnen. «Wenn ich das Podest sehe, dann weiß ich, wo ich hin will. Ich bin heiß und will Radrennen fahren. Ich will wissen, ob sich die harte Arbeit im letzten Jahr bezahlt gemacht hat», sagt Vogel und kann den Start in die Bahn-Wettbewerbe kaum abwarten.
Mit vierten oder fünften Plätzen will sich die 25-Jährige erst gar nicht abgeben. «Ich bin so frech zu sagen, dass ich schon ganz gerne drei Medaillen hätte und davon einmal ganz oben stehen möchte.» Bei der WM in London hatte sie überlegen den Keirin-Titel geholt und im Sprint nur durch eine Unachtsamkeit das Finale verpasst. Sie muss im taktischen Bereich noch ein paar Schwachstellen abbauen, ansonsten hinterlässt Vogel einen starken Eindruck.
In Rio präsentierte sie sich wie gewohnt in Plauderlaune und genoss die Tage im olympischen Dorf. Nur mit einer Sache kann sich Vogel gar nicht arrangieren. «Es ist wirklich, wirklich eklig, dass man das Toilettenpapier nicht im Klo hinunterspülen darf.» Mit einer weiteren Goldmedaille im Zimmer wäre aber auch das erträglich.
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(dpa)