Kuusamo – Wenn Olympiasieger Severin Freund erstmals wieder unter Wettkampfbedingungen auf den Balken klettert, werden 689 quälend lange Tage vergangen sein.
689 Tage, 22 1/2 Monate, fast zwei Jahre, in denen sich so vieles verändert hat: Freund ist Vater einer kleinen Tochter geworden. Er hat seine Bachelor-Arbeit geschrieben. Aber er konnte eben nicht seiner großen Leidenschaft nachgehen. Auf den Schanzen haben sich in seiner Abwesenheit die Kollegen Richard Freitag und Andreas Wellinger in die Spitze katapultiert und die Medaillen abgeräumt, die sonst meistens er einfuhr.
Doch die schier endlos andauernde Pause ist vorbei. Und trotz der vielen Änderungen soll sportlich wieder alles so werden wie früher. «Das ist das, wofür ich gearbeitet habe. Ich freue mich wahnsinnig darauf», sagte der 30-jährige Niederbayer mit Blick auf sein Comeback im finnischen Kuusamo an diesem Wochenende. Im reifen Sportleralter hat Freund nicht nur zwei Kreuzbandrisse weggesteckt, sondern auch das bittere Olympia-Aus verkraftet und sich Schritt für Schritt zurückgekämpft. Von den Langlauf-Skiern auf die Mini-Schanze, von dort immer weiter nach oben – bis die alte Sicherheit wieder kam.
«Nur mitspringen reicht mir definitiv nicht. Da bin ich nicht der Typ dazu. Einfach nur zurückzukommen – nein, da ist mein Anspruch an den eigenen Sprung zu groß», hatte Freund im Sommer der Deutschen Presse-Agentur gesagt. Doch was für Genesung, Regeneration und Schanzensprünge im Sommer galt, wird nun auch bei der Rückkehr in den Weltcup nötig sein: Geduld. Der besonnene und stets rationale Freund weiß das, er hat bereits vor zu großen Zielen gewarnt. Sein großes Ziel ist nicht die Tournee um den Jahreswechsel, sondern die Nordische Ski-WM in Seefeld im Februar.
Bundestrainer Werner Schuster weiß, was er an seinem jahrelangen Vorzeigeathleten hat. Immer wieder hat der Österreicher klar gemacht, dass die Rückkehr Freunds ihm auch selbst am Herzen liegt. «Er wird voll unterstützt, das ist mir auch ein persönliches Anliegen», sagte Schuster. Die ganz großen Erfolge in seiner zehneinhalbjährigen Ära sind immer noch dem Familienvater aus Freyung zuzuschreiben: Team-Olympiasieg 2014 mit Schlussmann Freund, zwei WM-Titel und der Gesamtweltcup 2015. «Ohne ihn würde ich vielleicht gar nicht mehr hier stehen», erklärte der Trainer.
Das richtige Gefühl und die Emotionen sind auch für Freund äußerst wichtig. Der Bayer ist zwar nach langer Pause und behutsamer Rückkehr medizinisch wieder gesund, den schwierigen Eishang von Wisla wollte er sich zum Start aber nicht antun. Stattdessen feiert er an diesem Samstag (16.30 Uhr) in Kuusamo sein Comeback, wo er 2012 und 2016 gewann und dementsprechend positive Erinnerungen hat. «Kuusamo ist rein emotional ein guter Einstiegsort. Da hat es immer ganz gut funktioniert», hatte Freund im Bayerischen Fernsehen begründet.
Seine Teamkollegen sehnen die Rückkehr herbei, auch wenn sich in Freunds Abwesenheit neue Strukturen gebildet haben und das DSV-Team wohl so ausgeglichen besetzt ist wie lange nicht mehr. Vor allem Zimmerkollege Richard Freitag blickt freudig auf den kommenden Winter: «Wenn man sich so gut kennt über die Jahre, dann wird das Reisen einfacher. Wie so ein altes Ehepaar, das ist aber auch nicht schlimm.» Die Geschichte von Severin Freund ist für ihn schon jetzt ein Erfolg. «Wenn man nach so einer langen Zeit zurückkämpft, was Schöneres gibt es doch gar nicht. Unabhängig davon, wie es jetzt am Anfang läuft», sagte Freitag.
Fotocredits: Angelika Warmuth
(dpa)