Manama – Die abgesetzte Spitze der FIFA-Ethikkommission sieht die Verfolgung von «mehreren hundert» offenen Fällen im Skandal um den Fußball-Weltverband gefährdet.
«Das wirft die Reformen um Jahre zurück, die FIFA wird deswegen leiden», sagte der frühere Chef-Ermittler Cornel Borbely in Manama. Es gebe keine Phase des Übergangs. «Mehrere hundert Fälle sind noch offen. Wir haben viele laufende Untersuchungen», sagte Borbely bei einer kurzfristig einberufenen Presse-Konferenz im 13. Stock des Al Raya Suites Hotel.
Der Schweizer und der deutsche Richter Hans-Joachim Eckert waren zuvor vom FIFA-Council nicht wieder zur Wiederwahl vorgeschlagen worden. Damit können sie vom Kongress am Donnerstag in der bahrainischen Hauptstadt nicht gewählt werden. «Ich bin nicht sicher, wie lange es dauern wird, bis jemand anders mit diesen Fällen umgehen wird», sagte Eckert. «Die erfahrensten Verfolger und Richter sind weg», sagte Borbely. Bis auf zwei Mitglieder der beiden Ethikkammern wurde das Personal komplett ausgetauscht. «Wir haben viel Know-how aufgebaut, wie man diese Fälle verfolgen muss.»
Beide erfuhren nach eigenen Angaben die Entscheidung nach der Landung in Bahrain durch die Medien. «Die Absetzung war unnötig und deswegen ausschließlich politisch motiviert», sagte Borbely. Seit 2015 habe die Untersuchungskammer 194 Voruntersuchungen durchgeführt und die rechtsprechende Kammer über siebzig Funktionäre verurteilt.
Eckert sieht durch die Personalentscheidungen auch offene Fragen für die strafrechtlichen Verfolgungen in der Schweiz und den USA im Korruptionsskandal rund um den Weltverband. «Was werden die Strafverfolger in Bern machen, was werden die Strafverfolger in den USA machen?», fragte der Korruptionsexperte aus München. «Aber es wird nicht einfacher für die FIFA.» Im laufenden US-Verfahren gilt die FIFA bislang als Opfer, kann nach amerikanischem Recht somit von Verurteilten Entschädigung verlangen.
Eckert saß der rechtsprechenden Kammer seit knapp fünf Jahren vor, Borbely war seit zwei Jahren Chef der Untersuchungskammer. Die beiden wollten ihre Posten für vier weitere Jahre behalten. Unter ihrer Führung wurden unter anderen der ehemalige Verbandschef Joseph Blatter sowie der frühere UEFA-Boss Michel Platini zu mehrjährigen Sperren verurteilt und auch Verfahren im Skandal um die Vergabe der WM 2006 an Deutschland geführt.
Als neue Chefermittlerin schlug das FIFA-Council die Kolumbianerin María Claudia Rojas vor, die rechtsprechende Kammer soll der frühere Präsident des Europäischen Gerichtshofs, Vassilios Skouris aus Griechenland, leiten. Beide müssen noch beim Kongress der 211 FIFA-Mitgliedsländer bestätigt werden, dies gilt als Formsache.
Der Grieche Skouris war von 2003 bis 2015 Präsident des Europäischen Gerichtshofs. Rojas gilt in Kolumbien als Topjuristin mit rund 25 Jahren Berufserfahrung. Sie war Präsidentin des Consejo de Estado (Staatsrats), eine der höchsten juristischen Instanzen des Landes, die zudem die Regierung in allen Rechtsfragen berät. An der Universität Cali lehrte sie zudem Verfassungsrecht, neun Jahre war sie anschließend am Verfassungsgericht des Landes tätig.
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(dpa)