Rio de Janeiro – Alexander Schukow hat ziemlich gute Laune, im Trainingsanzug entert der Chef des Nationalen Olympischen Komitees die Bühne. Ein Medaillengewinner nach dem anderen wird auf die Bühne gerufen. Hier ist Russland in Rio. Weiß, blau, rot.
Die Nationalhymne ertönt, Hand aufs Herz: «Russland, unser geheiligtes Land. Russland, unser geliebtes Land. Mächtiger Wille, großer Ruhm. Sind dir zu Eigen, für alle Zeiten».
Schukow will, dass die Athleten nach dem Doping-Teilausschluss eine sportliche Antwort geben, «an all diese Missgünstigen». Ein Abend im russischen Haus ist recht aufschlussreich – und ein Deutscher wird in höchsten Tönen gelobt. Es ist eine gut gesicherte Premiumanlage, am Militär-Fort von Copacabana. Von der Terrasse ein Blick über die Bucht, den Strand, das Meer, den Zuckerhut. Hier ist der Club dos Marimbás beheimatet, 1932 gegründet, ein Treffpunkt der Oberschicht.
Nun haben die Russen den Club gemietet, kein anderes Land hat ein Olympia-Zentrum in so exponierter Copacabana-Lage, einer der Hauptsponsoren ist Gazprom. Das Gelände wird von einer Mauer umgeben, die an den deutschen WM-Sieg erinnert, verschiedene Szenen wie das Hochrecken des Pokals, Brasilianer mit hängenden Köpfen nach dem 1:7 im Halbfinale wurden auf die Mauer gemalt. Ein beliebtes Foto-Motiv.
Doch Touristen bekommen es während Olympia nicht zu sehen – denn davor wurden Fassaden installiert, die große russische Olympiahelden zeigen. Und ein geschwungenes Herz in Brasilien- und Russland-Farben.
Besucher werden von überlebensgroßen Matrjoschka-Figuren empfangen, hier wird nur Russisch gesprochen. Baltika-Bier, es wird Wodka gereicht. Viele Leute mit Funkgeräten. Und es gibt ein begehbares Model des Sukhoi-Sportjets. Ein Flugzeug-Prototyp mit wunderbaren Massageliegen und Fitnessgeräten an Bord, damit Sportler sich auch in der Luft bestens auf den nächsten Wettkampf vorbereiten können.
Plötzlich taucht auf der riesigen Public-Viewing-Leinwand die Mutter von Natalia Kuziutina auf, sie hat im Judo Bronze gewonnen. «Ich bin aufgewacht und plötzlich Mutter einer berühmten Tochter», sagt sie, zugeschaltet aus Russland, wo es bereits frühmorgens ist.
Ihre Tochter hat die Medaille um den Hals baumeln. Fünf Stunden pro Tag hat sie für den Traum trainiert. Das Doping-Thema? «Es ist alles politisch, nur Russland hat es getroffen.» Man trainiere sehr hart – und dürfe dann nicht an den Spielen in Rio teilnehmen. «Ich bin sehr traurig darüber. Alle wurden getestet und die Tests waren negativ».
Irgendwie fühlt man sich hier an die unterschiedlichen Wahrnehmungen in Russland und im Westen zu Zeiten des Krim-Konflikts erinnert. Russland als Täter, als Brecher des Völkerrechts? Niemals. Und nun Doping, die klaren Indizien der Welt-Anti-Doping-Agentur WADA für systematisches Staats-Doping, das Austauschen der Urinproben bei den Winterspielen in Sotschi mit Hilfe des Geheimdienstes? Hier ist die Opferthese sehr verbreitet. Immerhin konnten am Ende fast 280 der ursprünglich 389 Athleten an den Start gehen, vor allem Schwimmer und Leichtathleten müssen zuschauen – aber das Internationale Olympische Komitee (IOC) entschied sich gegen den empfohlenen Komplett-Bann.
Gespräch auf der Terrasse mit der Fechterin Sofia Pozdnyakova, 19 Jahre, aufgeweckt, erfrischend. Sie hat einen Traum: «2020 in Tokyo will ich auch aktiv dabei sein.» Ihr Vater Stanislaw Pozdnyakow ist vierfacher Olympiasieger und seit kurzem Präsident des Europäischen Fecht-Verbandes. «Wir sollten Politik und Sport trennen», sagt sie.
«Kein Russe dopt. Das ist doch alles eine Lüge, wir sind saubere Sportsleute.» Vielleicht nehme einer eine Tablette, wisse aber gar nicht, dass es eine womöglich verbotene Substanz sei. Wie nicht wenige hier, vermutet sie die USA als Drahtzieher eines Komplotts, weil sie sich Platz eins im Olympia-Medaillenspiegel sichern wollen.
Sport und Politik trennen? So wie Medaillengewinner in Russland als Helden verehrt werden, welche Bedeutung Präsident Wladimir Putin den Sportlern als Botschafter eines widererstarkten Russlands beimisst, fällt das schwer zu glauben. Und was hält die junge Fechterin Sofia von IOC-Präsident Thomas Bach, der den Komplett-Ausschluss verhindert hat? «Guter Mann», sagt sie. «Wir sind ihm sehr dankbar.» Sie hätte so gezittert vor der Entscheidung. «Bitte, bitte, lasst uns fahren.»
Was am Beispiel der Judoka Natalia Kuziutina (27) auffällt: Dieses Fokussierte, diese Mission, der Wille. Und dieser Nationalstolz, beim Interview um eine Stunde vor Mitternacht hat sie immer noch die Russlandfahne umhängen. Und schaut sie sich jetzt noch Rio an, fährt hoch zum Cristo? «Nein, dafür habe ich keine Zeit», sagt sie. «Ich will jetzt den Rest des Teams unterstützen, wir wollen noch viele Medaillen holen.»
Fotocredits: Michael Kappeler
(dpa)