Brasilia (dpa) – Auf dem internationalen Parkett ist er noch ein unbeschriebenes Blatt. Brasiliens Interimspräsident Michel Temer hat bewegte Monate hinter sich, kurz nach Olympia will er auch offiziell Präsident des fünftgrößten Landes der Welt werden.
Und als solcher will er im September zum großen G20-Gipfel nach China reisen. Als ersten großen Auftritt darf er nun Gastgeber der Olympischen Spiele glänzen, aber es sagten nur rund 45 Staats- und Regierungschefs zu, ursprünglich war in Brasilien mit einer Zahl von bis zu 100 kalkuliert worden.
Wegweisende Impulse hat er bisher noch nicht gegeben, aber schon drei Minister seiner Übergangsregierung verloren, unter anderem wegen Korruptionsvorwürfen. Spott gab es, weil er nur Männer, alle weiß, in sein Kabinett berief – einige mit starken evangelikalen Einflüssen. Seine große Hoffnung: Die Spiele können das polarisierte Land einen.
Bis zum Frühjahr stand Michel Temer als Vizepräsident im Schatten von Präsidentin Dilma Rousseff. Für sie ist er ein «Verräter» und «Usurpator». Wie zerrüttet das Verhältnis schon länger war, zeigte ein Brief im Dezember, als er meinte, er sei nur ein «Dekorationsvize». «Es gibt ein absolutes Misstrauen Ihrerseits in Bezug auf mich und die PMDB», schrieb der 75-Jährige an Rousseff. Die Partei der demokratischen Bewegung (PMDB) ließ die Koalition platzen, er blieb Vize und schmiedete ein Bündnis mit Oppositionsparteien, um die nötigen Kongress-Mehrheiten für ihre Amtsenthebung zu sammeln.
«Im Vergleich zu Temer ist Judas ein Anfänger», meinte die britische Zeitung «Guardian». Rousseff wurde im Mai zunächst suspendiert, daher ist Temer bisher nur Interimspräsident. Die Verfassung sieht vor, dass danach die Vorwürfe – es geht um Tricksereien zur Beschönigung der Haushaltslage – juristisch geprüft werden. Wenn Ende August der Senat sein Urteil fällt, dürften Rousseff und damit 13 Jahre Regierung unter Führung der linksorientierten Arbeiterpartei Geschichte sein. Temer bliebe bis Ende 2018 im Amt. Sie ist zum Warten verurteilt, noch wohnt sie im Präsidentenwohnsitz in Brasilia.
Dass sie Olympia nicht mehr eröffnen darf, hat sie schwer getroffen. «Stell dir vor, Du gibst eine Party. Du arbeitest mehrere Jahre dafür, bereitest alles vor, organisierst die Beleuchtung, bestellst die Presse. Und am Tag, an dem Party beginnt, kommt jemand an deiner Stelle und reißt die Party an sich», sagte sie «El Mundo». «In der Geschichte dieser Spiele bin ich das Aschenputtel», so Rousseff.
Temer selbst sagt, das größte Verdienst der Vorjahre sei, dass 40 Millionen Menschen mit Programmen wie der Familiensozialhilfe aus der extremen Armut geholt wurden – ob er das alles so fortführen wird? Die Wirtschaft ist eingebrochen, die Öleinnahmen sprudeln nicht mehr.
Das Land ist polarisiert, Demonstranten störten den olympischen Fackellauf und forderten «Temer raus». Seine Mitte-Rechts-Regierung setzt zur Überwindung der Krise auf Privatisierungen, Stellenabbau und ein späteres Renteneintrittsalter. Seine hübsche Frau Marcela (33) soll als First Lady glänzen, sie ist einen ganzen Kopf größer als er. Beide haben einen kleinen Sohn, Michelzinho.
Der Jurist gilt als Strippenzieher, zweimal war er Präsident des Abgeordnetenhauses. Er entstammt einer katholischen Familie aus dem Libanon, die 1925 nach Brasilien emigrierte. Wegen der Machtstellung bezeichnete ihn das Magazin «Executive» süffisant als «den mächtigsten lebenden Libanesen der Welt». Beliebt ist er nicht, nur 14 Prozent der Brasilianer bescheinigen ihm eine gute Amtsführung, bei Neuwahlen hätte er laut Umfragen keine Chance.
Fotocredits: Antonio Lacerda