Rio de Janeiro (dpa) – Jetzt muss es Rio retten. Belastet von sportpolitischen Skandalen und Brasiliens tiefer Krise sind die ersten Olympischen Spiele in Südamerika für die Gastgeber einmalige Chance und tonnenschwere Bürde zugleich.
Mit ansteckender Partylust und Improvisationskunst soll die Millionen-Metropole am Zuckerhut der problembeladenen Heimat und dem schwer kritisierten Internationalen Olympischen Komitee ein farbenfrohes Sommer-Spektakel liefern. Auch IOC-Chef Thomas Bach setzt inmitten des Desasters um Staatsdoping in Russland voll auf «große Olympische Spiele á la Brasilien, voller Leidenschaft und Lebensfreude».
Bach braucht bei seinen ersten Sommerspielen im Präsidenten-Amt Ablenkung und schöne Bilder dringend – als Wirkstoff gegen die Zweifel an seinem olympischen Betrieb, als frisches Argument für das Milliardengeschäft unter den fünf Ringen. Die Nachwirkungen der russischen Doping-Affäre werden sich indes in die Spiele hineinziehen, nachdem das IOC gegen die Empfehlung der Welt-Anti-Doping-Agentur einen kompletten Ausschluss der Sportler aus dem Putin-Reich verwarf.
Russlands Sportbetrüger waren für das IOC bei weitem nicht der einzige Sorgenfall vor der Eröffnungsfeier im legendären Maracanã-Stadion am Freitag. Auch die Serie von Negativ-Schlagzeilen aus Brasilien nahm in den vergangenen Monaten einfach kein Ende. Ein Korruptionsskandal, in den fast die ganze politische Elite verwickelt ist, die Suspendierung von Präsidentin Dilma Rousseff und eine tiefe Rezession plagen das Land.
Trotzig aber versicherte Interimspräsident Michel Temer: «Rio de Janeiro wird der Welt mit unseren Spielen alles zeigen, wozu es in der Lage ist.» Rund 39,1 Milliarden Reais, umgerechnet rund 10,7 Milliarden Euro lässt sich Brasilien seine olympische Premiere kosten. Mehr als die Hälfte davon soll privat finanziert sein.
Das teuerste Projekt, die in letzter Minute eröffnete U-Bahn-Linie zum Olympia-Park, stand dabei sinnbildlich für die enormen Herausforderungen für die Rio-Macher. Verzögerungen und Pfusch am Bau brachten die Organisatoren bis kurz vor dem Start der Wettkämpfe immer wieder in Bedrängnis. Beim Einzug der ersten Athleten ins olympische Dorf kam es zu peinlichen Pannen, als Toiletten verstopft, Wasserleitungen defekt und Wohnungen verschmutzt waren. Die deutsche Mannschaft behob die Mängel gleich mit eigenen Handwerkern.
Alles andere als gelöst sind dagegen die massiven Umweltprobleme in der Guanabara-Bucht durch ungeklärte Abwässer und im Wasser treibenden Müll. So mancher Segler fürchtet deshalb sogar um seine Gesundheit, auch wenn die Organisatoren versichern, kein Athlet werde durch den Kontakt mit den olympischen Gewässern krank werden.
Angesichts solcher Nachrichten zweifelte kurz vor der Entzündung des olympischen Feuers knapp ein Drittel (31 Prozent) der Deutschen daran, dass Rio ein guter Olympia-Gastgeber sein wird, wie eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov im Auftrag der Deutschen Presse-Agentur ergab.
Rios Bürgermeister Eduardo Paes hat für diese Sicht sogar Verständnis. «Mit dieser ganzen ökonomischen und politischen Krise, mit all diesen Skandalen, ist es nicht der beste Moment, um im Fokus der Welt zu stehen. Das ist schlecht», sagte Paes jüngst dem britischen «Guardian».
Und doch lassen sich die Cariocas ihre Vorfreude auf die Tage von Olympia nicht nehmen. Diese faszinierende Stadt mit den traumhaften Stränden der Copacabana und dem ikonischen Cristo Redentor auf dem Corcovado bietet schließlich den perfekten Postkarten-Hintergrund für das Treffen von weit mehr als 10 000 Athleten aus aller Welt.
Dabei sein werden auch zehn Flüchtlinge, für die das IOC erstmals ein eigenes Team gegründet hat. Unter ihnen ist die syrische Schwimmerin Yusra Mardini, die inzwischen in Berlin lebt und trainiert. Medaillen allerdings werden andere gewinnen. Sprintkönig Usain Bolt, Rekord-Olympiasieger Michael Phelps, die US-Basketballer und Brasiliens Fußball-Hoffnung Neymar machen sich begleitet von hohen Erwartungen auf die Jagd nach Gold.
306 Entscheidungen fallen in den 16 Wettkampftagen, so viele wie nie zuvor. Siebener-Rugby ist zum ersten Mal im olympischen Programm, Golf kehrt nach langer Zeit wieder zurück. Mehr als 300 Stunden live senden ARD und ZDF von Olympia – ein Rekord in der deutschen TV-Geschichte.
Als Quotenbringer hoffen die Öffentlich-Rechtlichen dabei vor allem auf viele deutsche Medaillengewinner und starke Figuren wie Diskus-Olympiasieger Robert Harting. Mindestens 44 Mal Edelmetall wie in London vor vier Jahren soll es schon werden, hat sich der Deutsche Olympische Sportbund vorgenommen. Ruderer, Kanuten und Reiter tragen erneut die größten Hoffnungen auf viele Medaillen. Mitreißen sollen diesmal auch wieder die Handball-Europameister und die beiden Fußball-Auswahlen, nachdem in London so wenig deutsche Teams wie noch nie in den Mannschaftswettbewerben dabei waren.
Das kritische Medaillenzählen allerdings will DOSB-Präsident Alfons Hörmann in Rio nicht mitmachen. «Nach dem, was vor den Spielen in Sachen Doping aber nun alles diskutiert wurde, sollten wohl andere Werte für das Olympia-Team im Vordergrund stehen als nur die absolute Zahl von Medaillen», sagte Hörmann. «Denn, was wir einmal mehr schmerzvoll im Weltsport erkennen müssen: Erfolg um jeden Preis kann und darf nicht das Maß aller Dinge sein.»
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