Rio de Janeiro (dpa) – Von den 465 Athleten im Gastgeber-Team ist er das Olympia-Gesicht schlechthin. Wie schon zur Fußball-WM lasten die Erwartungen eines ganzen Landes auf ihm: Neymar.
Unter seiner Regie soll die Schmach des 1:7 gegen Deutschland 2014 zumindest etwas vergessen gemacht werden und Brasilien zum ersten Mal olympisches Fußball-Gold gewinnen. Zwar schickt Brasilien das größte Team seiner Geschichte ins Medaillenrennen – aber allzu zahlreich sind die Goldhoffnungen für die Heim-Spiele in Rio de Janeiro nicht.
Neymar gibt sich vor dem Auftaktspiel der Fußballer gegen Südafrika am Donnerstag betont locker, verbreitet bei Twitter ein Video, in dem er ein Ei mit dem Fuß über die Schulter in eine Pfanne bugsiert, um sich ein Omelett zu braten. «Ich habe bereits eine Silbermedaille, jetzt denke ich nur noch an Gold», sagt der Kapitän.
Es gibt ein offizielles Regierungsziel, den «Plano Brasil Medalhas», den brasilianischen Medaillen-Plan. Der war schon 2012 von der Präsidentin Dilma Rousseff ins Leben gerufen worden – flankiert mit Finanzzusagen von einer Milliarde Reais (280 Mio Euro) für die Entwicklung des Spitzensports. Das Ziel: erstmals unter die ersten Zehn im Medaillenspiegel zu kommen. In London 2012 landete Brasilien mit 3 Gold-, 5 Silber- und 9 Bronzemedaillen nur auf Platz 22 – aus Lateinamerika schnitten Kuba (16.) und Jamaika (19.) besser ab.
Im ewigen Ranking liegt das fünftgrößte Land der Welt auf Platz 33 – überraschenderweise gewann man die meisten Goldmedaillen bisher im Segeln (6). «Das Team Brasilien hat die beste Vorbereitung seiner Geschichte und einen absoluten Rekord bei der Zahl der Mitglieder», betont der Chef der Mission, Bernard Rajzman. Rund ein Drittel des Teams (145) sind Militärsportler. Man setzt darauf, dass die bisher mäßige Begeisterung durch schöne Erfolge in Rio spontan zunimmt.
Nur 16 Prozent der Brasilianer äußerten vor den Spielen einer Umfrage zufolge, dass sie großes Interesse an den Rio-Spielen haben. Bei den Testwettbewerben zeigten die Brasilianer ihre Begeisterungsfähigkeit – vor allem wenn einheimische Athleten positiv überraschten. Aber viele der olympischen Sportarten sind völlig unbekannt. Am größten ist das Interesse neben Fußball an Volleyball. Bei den Männern gewann das Land schon drei Mal den WM-Titel, die Frauen gewannen in London 2012 Gold. Und beim Beach-Volleyball am Strand an der Copacabana rechnet man sich auch viel aus, die Stimmung wird hier enthusiastisch sein in dem 12 000-Zuschauer-Stadion mit Blick auf Zuckerhut und Atlantik.
Eine Goldhoffnung ist der beste Turner und Olympiasieger von London: Arthur Zanetti soll erneut Gold an den Ringen holen. Und im Judo will Sarah Menezes ihren Olympiasieg von London möglichst wiederholen. Auch die Judo-Weltmeisterin Mayra Aguiar ist Gold-Aspirantin. In der Leichtathletik gilt Südamerikas Rekordhalterin im Stabhochsprung (4,85 Meter), Fabiana Murer, als Medaillenhoffnung. Sie war 2011 Weltmeisterin, 2015 Zweite.
Die Moderne Fünfkämpferin Yane Marques, die in London Bronze holte, wird auch hoch gehandelt im Land – sie wird die brasilianische Fahne bei der Eröffnungsfeier tragen. «Ich möchte in diesem Moment die Repräsentantin aller Brasilianer sein», sagt sie – man hofft, dass Olympia das krisengeschüttelte Land eint.
Für einen Superstar in Brasilien endete der Gold-Traum tragisch. César Cielo muss das Heimspiel als Zuschauer verfolgen. In der nationalen Qualifikation kam der Olympiasieger von Peking über 50 Meter Freistil überraschend nur auf Platz drei. Der Weltrekordhalter über die Distanz (20,91 Sekunden) weinte nach der herben Niederlage. Sein Gold ist der einzige brasilianische Olympiasieg im Schwimmen.
Und Brasiliens beste Sprinterin, Ana Claudia Lemos, ist wegen eines Doping-Falls nicht dabei. Bei der südamerikanischen Rekordhalterin über 200 Meter wurde das anabole Steroid Oxandrolon nachgewiesen.
Möglichst viele Medaillen der Heimmannschaft sind immer ein Garant für gute Stimmung, es sollen Spiele der Emotionen werden, um all die Negativschlagzeilen im Vorfeld vergessen zu machen. Aber egal wie es ausgeht – ein «Erbe» von Rio 2016 soll sein, dass endlich im Land professionellere Bedingungen für den Spitzensport geschaffen werden.
Der Olympiapark in Barra mit den meisten Sportstätten soll daher nach Olympia zu einem riesigen Leistungssportzentrum werden, der zentrale Olympia-Stützpunkt des Landes mit Schulen und Trainingszentren in rund 20 Olympiadisziplinen für den Nachwuchs. Damit Brasilien in Zukunft ein größeres Wort bei den Medaillenvergaben mitsprechen kann.
Fotocredits: Fernando Bizerra Jr.