Leverkusen (dpa) – Bloß nicht den FC Bayern provozieren! Diese Vorgabe ihres Chefs Hans-Joachim Watzke beherzigten bei Borussia Dortmund auch nach dem Sprung an die Tabellenspitze alle.
«Nichts Besonderes» sei die Tabellenführung, sagte Trainer Lucien Favre nach dem mitreißenden 4:2 (0:2) bei Bayer Leverkusen. Und Sebastian Kehl, Leiter der Lizenzspieler-Abteilung, erklärte: «Wir nehmen das gerne mit. Aber für Kampfansagen ist es zu früh.»
Dass es diese auch nach dem Rollenwechsel vom Bayern-Jäger zum Bayern-Gejagten nicht geben wird, hatte Watzke schon vor knapp zwei Wochen angekündigt. «Wenn du es schon vorher beschreist, haben die Bayern alle Warnsysteme hochgefahren», hatte er der «Funke Mediengruppe» gesagt: «Und du musst sie erwischen, wenn sie sie gerade alle runtergefahren haben.»
Warnen wollen sie den Serienmeister aus München nicht. Andererseits ist der BVB der große Hoffnungsträger der Liga, nun da er die Gunst der Stunde nach Münchens 0:2 bei Hertha BSC nutzte. «Insgesamt ist es für die Attraktivität der Liga besser, wenn wir etwas Spannung haben», sagte auch DFB-Präsident Reinhard Grindel im ZDF-Sportstudio.
In der Vorwoche hatte Schalke-Manager Christian Heidel noch gemutmaßt, der FC Bayern verliere in dieser Saison kein Spiel. Nun ist München nicht einmal mehr Spitzenreiter. Doch in Dortmund haben sie in der vergangenen Saison als Hoffnungsträger schlechte Erfahrungen gemacht. Damals führte der BVB die Tabelle bis zum neunten Spieltag an – am Saisonende hatte er 29 Zähler Rückstand.
Watzke setzte deshalb am Samstagabend auf ein Ablenkungsmanöver. «Ich habe bis vor fünf Tagen überall gelesen, dass wir eigentlich nichts können», sagte er im ZDF: «Dass wir keinen Fußball spielen können. Das geht mir zu schnell in die eine oder andere Richtung.» Mit den Print-Journalisten wollte Watzke mit Verweis auf die angeblich negative Berichterstattung erst gar nicht sprechen.
Beim FC Bayern sieht man diese Verweigerungshaltung ungern. «Von außen ist es immer einfach zu sagen: Ja klar, die Bayern sind nicht zu schlagen – da springt jeder Trainer vom Gegner auf den Zug auf und sagt: „Ja, die Bayern sind nicht zu schlagen“, um ihnen ein bisschen ein Alibi zu geben», sagte Münchens Joshua Kimmich: «Deswegen finde ich es ganz cool, wenn jemand wie Julian Nagelsmann die Sache offensiv angeht.»
Der Hoffenheimer Trainer hatte den Meistertitel vor der Saison als Wunsch angegeben – fällt als Rivale mit schon sieben Punkten Rückstand nach sechs Spielen aber ebenso aus wie die als Geheimtipp gehandelten Leverkusener, die noch einen Zähler weniger aufweisen.
Auch die nun punktgleiche Hertha sieht sich nicht als echter Bayern-Rivale, ist aber stolz darauf, die Verwundbarkeit des Serienmeisters aufgezeigt zu haben. «Die Liga muss nicht mehr drauf warten, dass die Bayern verlieren», sagte Hertha-Manager Michael Preetz: «So ganz nebenbei haben wir den Effekt, dass es nicht so ist, dass sie schon weit weglaufen.»
Als ernsthafter Dauer-Gegner kommen aber wohl nur die Dortmunder in Frage. Zumal diese innerhalb von vier Tagen zweimal begeisternden Fußball boten und beide Male Vereinsgeschichte schrieben. Das 7:0 am Mittwoch gegen Nürnberg war der höchste Sieg seit 32 Jahren. Und am Samstag gewann der BVB erstmals in der Liga nach einem 0:2-Pausenrückstand auswärts.
Dieser Sieg sei für ihn noch schöner gewesen als der unter der Woche, bekannte der sonst sehr beherrschte Favre, der während des Spiels sichtlich Mühe hatte, seine fast schon euphorische Freude zu verbergen. Am Spielfeldrand hatte er die Arme hochgerissen, war umstehenden Menschen in die Arme gefallen oder hatte den Daumen in die Luft gereckt – die Spiel-Dramaturgie sowie das schnelle Kombinationsspiel seines jungen Teams in der letzten halben Stunde verzückten den Fußball-Perfektionisten sichtlich. «Tack-tack-tack, mit einem Kontakt», sagte er mit funkelnden Augen.
So spielen zumindest mögliche Meister. Doch für Favre war der Sieg in Leverkusen nach eigener Aussage aus anderem Grund ein besonderer. «Ich kann doch nicht gegen meinen Vermieter verlieren», sagte er mit einem breiten Schmunzeln in Richtung seines Leverkusener Kollegen Heiko Herrlich, der als Profi neun Jahre in Dortmund gespielt hatte. «Die Miete wird nicht erhöht», kündigte dieser an. Es läuft derzeit für Lucien Favre.
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