Pyeongchang – Es stand 29:0 für die Frauen – und dann kam Martin Fleig. Am Dienstag hatte der Biathlet noch bittere Tränen der Enttäuschung vergossen, drei Tage später beendete er den «Männer-Fluch» – und weinte diesmal vor Freude.
«Ich fühle mich wie im falschen Film. Ich hoffe, ich wache nicht gleich auf und es ist alles nur ein Traum gewesen», sagte der 28-Jährige, nachdem er in Pyeongchang Gold über 15 Kilometer in der sitzenden Kategorie gewonnen hatte. Und damit als erster deutscher Para-Athlet seit acht Jahren oder insgesamt 2918 Tagen eine Medaille bei Winterspielen errang.
«Jetzt ist der Männer-Fluch gebannt. Und Gold ist das I-Tüpfelchen», sagte der Chef de Mission, Karl Quade, der nach den Medaillen der Alpinen Gerd Schönfelder und Martin Braxenthaler am 20. März 2010 insgesamt 29 Medaillen von deutschen Athletinnen bejubeln durfte, aber keine einzige eines Mannes. «Von uns haben sie sich nichts anhören müssen. Wir haben das nie zum Thema gemacht», versicherte Quade zwar: «Aber es ist natürlich schön, dass jeder gesehen hat, dass es in Deutschland auch Männer gibt, die Gold gewinnen können.»
Für Fleig, der von Geburt an im Rollstuhl sitzt, war das am größten Tag seiner sportlichen Laufbahn freilich eine Randnotiz. Es sei aber so «umso schöner», sagte er: «Wir haben starke Frauen. Jetzt habe ich gezeigt, dass auch Männer Gold gewinnen können.»
Drei Tage zuvor war Fleigs Gefühlsleben noch ein komplett anderes gewesen. Über 12,5 Kilometer, wo er ebenfalls als amtierender Weltmeister ins Rennen gegangen war, wurde er nach einem Schießfehler nur Vierter und war hinterher unendlich traurig. «In den ersten vier, fünf Stunden danach habe ich nur geheult. Wie ein Wasserfall. Ich wollte von niemandem etwas wissen», erzählte er. «Irgendwann habe ich dann mit daheim gesprochen. Mit meiner Freundin, mit meinen Eltern. Sie haben mich gepuscht und aufgebaut. Und danach habe ich gedacht: So, jetzt erst recht!»
Heute hatte Fleig gutes Material, er behielt die Ruhe und blieb bei 20 Schüssen ohne Fehler. Als er die Ziellinie passierte, riss er die Arme in die Luft, schrie seine Freude heraus und weinte Freudentränen. «Das ist eine ganz, ganz große Leistung», sagte Andrea Eskau, die eine halbe Stunde zuvor selbst Gold gewonnen hatte: «Er ist der beste Biathlet und hat es verdient. Peng!»
Der Verwaltungsfachangestellte arbeitet in der Führerscheinstelle des Landratsamtes Breisgau Hochschwarzwald. Für Langlauf hat er sich entschieden, «weil ich im Sommer oft nicht mit der Hitze klarkomme und Monoskifahren meinen Eltern zu riskant war». 2014 in Sotschi war er bei vier Starts nicht über Platz acht hinausgekommen. Seitdem hat er seine Sitzposition im Schlitten verändert, verstärkt die Arme trainiert und in einem Strecken-Simulator den Kurs von Pyeongchang einstudiert. Am Freitag folgte die Belohnung. Und der «Männer-Fluch» war gebannt.
Fotocredits: Karl-Josef Hildenbrand
(dpa)